HORTUS
CONCLUSUS
Verlagslogo
BERN
2. Auflage 1979
Unveränderter Nachdruck der ersten Auflage 1936
© 1936 and 1979 by Kober´sche Verlagsbuchhandlung AG
Bern
ISBN 3-85767-026-6
UM DEN FORDERUNGEN DES URHEBERRECHTES
ZU ENTSPRECHEN, SEI HIER VERMERKT, DASS
ICH IM ZEITBEDINGTEN LEBEN DEN NAMEN
JOSEPH ANTON SCHNEIDERFRANKEN FÜHRE,
WIE ICH IN MEINEM EWIGEN GEISTIGEN SEIN
BESTIMMT BIN IN DEN DREI SILBEN:
BÔ YIN RÂ
INHALT Seite
Gespräch an der Pforte 7
Von der Einfachheit in allem Ewigen 19
Vom Wechsel des Standortes
.und von den Stufen
29
Über Bewußtseinslagen und Leidhilfe 37
Vom Bewußtsein der Abgeschiedenen 45
Vom hohen Einsatz des Helfenden 55
Vom Spottbild des ewigen Ich 65
Nochmals über Wahrheit und Wirklichkeit 77
Von zeitlichem und ewigem Raum 83
Von asiatischem Religionsgut 91
Vom Mysterium des Morgenlandes 101
Über die Religionsformen 111
Über Zustimmung und Glaube 123
Von irrtümlichen Gottesbildern 133
Vom Sinn aller Belehrung 143
Wo ich nur Überbringer bin 151
Wem ich nichts zu sagen habe 159
Vom ewigen Seelenheil 167
Von der verzögernden Fragelust 175
Von zeitlicher und ewiger Seele 183
Was nach dem Tode bleibt 193
Von einem Namen und einem Notbehelf 203
Was man selber folgern sollte 211
Von arger Unterschätzung 221
Über die Zwangslage der Seelsorgerschaft 231
Wie Ewiges sich selbst „natürlich” ist 243
Zum Abschluß und Abschied 257
Originalscan1  Originalscan2
GESPRÄCH AN DER PFORTE
Dem nur auf seine gehirnlich bedingte Be‐
obachtung und seine gedanklichen Schlüsse
angewiesenen Menschen dieser Erde bleibt
fast alles, was an ihm „ewig” ist ‒ also
keiner wie immer vorgestellten Beendigung
oder Auflösung anheimfallen kann ‒ wahr‐
haftig ein „Hortus conclusus”: ‒ ein Um
schlossener Garten! Das Vorhandensein
eines solchen, den physischen Sinnen
wie allem Denken unzugänglichen Berei‐
ches wird zwar zuweilen geahnt, zuweilen
gefühlt, und innerhalb großer Menschen‐
gruppen geglaubt, aber der Ahnende, Er‐
fühlende, oder Glaubende bleibt außer
halb der Mauer, die den ihm verschlossenen
Garten des Bewußtseins eigener Ewig‐
keit: ‒ das „verlorene Paradies” ‒ von
den Gebieten erdenhafter Erkenntnismög‐
lichkeiten abgrenzt. Von Einzelnen, die sich
mit allem, was sie ahnen, erfühlen und
glauben, noch nicht zufriedengestellt
9 Hortus Conclusus
sehen, wird die trennende unübersteigbare
Mauer unermüdlich umwandert und
abgetastet, um vielleicht doch eine verbor‐
gene Lücke zu finden, die man erweitern
und durch die man sich dann hindurch‐
zwängen könnte. Die glücklichsten unter
diesen Suchern gelangen zu ihrer eigenen
Überraschung wirklich an die einzige und
nur schwer findbare enge Pforte, die den
Zugang zu dem „Umschlossenen Garten”
bilden könnte, wenn man sie nur zu öffnen
wüßte. Statt aber geduldig und vertrauend
zu warten, ob nicht etwa von innen her
eines Tages geöffnet werde, suchen fast
alle, die das Glück hatten, diese Pforte zu
entdecken, bei schlauen Schlossern die
wunderlichsten Nachschlüssel aufzutreiben
und vertun ihre irdische Lebenszeit mit
immer neuen und immer wieder erfolg‐
losen Versuchen, das nur vom Innern des
„Umschlossenen Gartens” her zu öffnende
10 Hortus Conclusus
Schloß von außen aufzubrechen. Vergeb‐
liche Mühe und verhängnisvolle Selbst‐
täuschung!
.Nur einer, der selbst des Ewigen bewußt,
in dem aller irdischen Zudringlichkeit un‐
erbittlich verschlossenen Garten aus eige‐
ner Geistnatur heimisch ist, vermag die
geheimnisvolle Pforte von innen her zu
öffnen, die jedoch, auch wenn sie so geöff‐
net wurde, keinen einläßt, der nicht alle
Belastung mit den Ergebnissen gedank
licher Spekulation, und alle Verkleidung
in die er sich bisher gehüllt hatte, von sich
wirft, um nackt und bloß, wie er aus seiner
Mutter Leibe hervorging, einzutreten.
.Meine ganze Lebensarbeit ist ein von
innen her erfolgendes, immer wieder er‐
neutes Öffnen der Pforte, von der aus ich
dann auf mannigfachen Wegen, alle, die
nichts anderes mit sich nehmen wollen, als
was an ihnen ewigem Leben zugehört, zu
11 Hortus Conclusus
den von mir auferbauten Lehrtempeln und
von mir gesetzten, mit Worten ewig gül‐
tiger Lehre beschrifteten Bildsäulen führe.
Jede Belehrung, die von mir meinen Mit‐
menschen gegeben wurde, ist umschlossen
von der Mauer dieses „Hortus conclusus”,
so daß ich mit Fug und Recht mein gesam
tes Lehrwerk unter diesem, mich selbst
mit ihm zusammenfassenden Namen hinter‐
lassen kann, der mir aus guten Gründen
angemessen erscheint, um das hier vorlie‐
gende Abschlußwerk symbolisch zu be‐
zeichnen. Auch dieses Buch macht Ant‐
worten, die im Laufe der Jahrzehnte Ein
zelnen privatim durch mich zuteil wurden,
nun Vielen zugänglich, und soll ebenso
wie das Buch der „Briefe an Einen und
Viele” den meinen Lehren Zugeführten
und Vertrauenden die Augen dafür öffnen,
daß die Bücher- und Schriftenreihe, in der
zu finden ist, was ich aus dem Ewigen her
12 Hortus Conclusus
zu geben habe, als ein Ganzes betrachtet
werden muß, das im Ewigen gründet
und nur zugänglich werden kann, wenn
die Bedingungen erfüllt werden, die das
Ewige fordert. Ich habe oft genug von die‐
sen Bedingungen gesprochen und sie in
den hier vorangehenden Zeilen aufs neue
charakterisiert.
Die Stätten im Innern des aller Neugier
immerdar verschlossenen Gartens, zu denen
ich die Berufenen nunmehr noch durch die‐
ses vorliegende Buch zu führen trachte, ge‐
ben mancherlei orientierende Ausblicke aus
seinen heiligen Hainen, von denen her die
Baugliederung der von mir errichteten Lehr‐
tempel in klarster Perspektive erkennbar
wird. Auch manche, bisher in ihrem unbe‐
absichtigten Versteck noch nicht entdeckte
Schrifttafel und beschriftete Säule wird dem
aufmerkenden Auge nicht mehr entgehen.
13 Hortus Conclusus
Ich weiß wahrhaftig, wie befremdlich die
in meinen Schriften dargebotene Lehre
den allermeisten meiner Mitmenschen er‐
scheinen muß, und ich verstehe nur zu
gut, daß der im Ewigen erfahrungsfremde
Mensch dieser Tage fürs erste noch außer‐
stande ist, in sein ihm anerzogenes Be‐
griffsbildungsvermögen im richtigen Sinne
aufzunehmen, was ich ihm leider auch über
mich selber zu sagen genötigt bin, will ich
ihn nicht vor Lücken stehenlassen, die er
aus eigener Erkenntnis nicht ausfüllen
kann. Nicht minder weiß ich Bescheid um
die vielerlei Formen der psychologisch mas‐
kierten Verdächtigungen, die verantwor‐
tungslose Voreiligkeit für alles, was ihr un‐
erklärlich erscheint, bereithält, als be‐
quemste Verbergung ihrer eigenen Urteils‐
ohnmacht. Angesichts der Unzahl gedank‐
lich spekulativer Erörterungen über das
Ewige, ist es mir auch durchaus begreif‐
14 Hortus Conclusus
lich, wenn man keinem seiner Mitmen‐
schen das Vermögen zutrauen mag, daß er
selbst imstande sei, vor jeder Selbsttäu‐
schung gesichert, sich im unanzweifelbar
Ewigen wach zu erleben.
.Alles richtige Verstehen erschwerend
wirken außerdem viele primitive religiöse
Vorstellungen, die nicht nur in hochaus‐
gereifte Religionen übernommen wurden,
sondern sich merkwürdigerweise von theo‐
logischen Begriffsbezirken her mit unkraut‐
artiger Zähigkeit auch in Gehirnen festzu‐
halten wissen, deren Eigner sich als hoch
über jedem Dogmatismus erhaben dünken.
Nicht geringer sind die gedanklichen Hin‐
dernisse, die, wie fäulnisgenährte gigan‐
tische Schlingpflanzen in tropischen Ur‐
wäldern, im Bereiche der philosophischen
Systeme alles Erkennen des wirklichen
Ewigen unmöglich machen.
.Es ist unter diesen hier nur summarisch
15 Hortus Conclusus
angedeuteten Umständen eine recht pein‐
volle Aufgabe, als Mensch unter Menschen
davon zu künden, daß man ‒ neben eini‐
gen wenigen, in strengster Verborgenheit
verharrenden Mitmenschen außereuropäi
scher Kulturkreise ‒ selbst Exponent des
Ewigen im Bereiche der Erdenmenschheit
ist, und dazu noch aus dem Ewigen her
unabweisbar bestimmt, als einziger Über‐
setzer in erdenmenschliche Sprache zu
übertragen, was nur in wortelosem Er‐
leben erkundbar wird. ‒ Man muß in sich
wahrhaftig jede Form versteckten oder offe‐
nen erdenmenschlichen Geltungstriebes
verlachen gelernt haben, soll man in sei‐
nem irdischen zeitbegrenzten Dasein nicht
an der Erfüllungsmöglichkeit der Aufgabe
verzweifeln! Nur unbegrenzte Liebe zu
allem ewig Liebenswerten, das man in je‐
dem seiner Mitmenschen gegeben sieht,
auch wenn es den meisten kaum bewußt
16 Hortus Conclusus
wird, erzeugt die Kraft, sich selber immer
wieder aus dem Ewigen her zu eröffnen,
trotzdem man weiß, daß man dennoch den
allermeisten seiner Mitmenschen ein „Hor‐
tus conclusus” bleibt.
17 Hortus Conclusus
VON DER EINFACHHEIT
IN ALLEM EWIGEN
Die Milde ewigen geistigen Lichtes wird
von überreizten Nerven nicht wahrgenom‐
men. Nur in der vorher erlangten unstör‐
baren heiteren Ruhe der Seele kann sich
das goldweiße Licht der Gottheit irdischem
Erfühlen offenbaren.
.Ich darf wahrhaftig über die Art des
Lebens und Erlebens im ewigen Geiste
mit innerster geistiger Vollmacht sprechen,
und so, wie es nur dem Selbsterfahrenden
möglich ist. Gerade darum aber muß ich
bekennen, daß auch im höchsten geistigen
Leben, das mir jedoch als faßbares Erlebnis
bewußt ist, die gleiche nüchtern klare
Einfachheit und Selbstverständlichkeit
herrscht, die jeder kennt, dem auch nur
ein einzigesmal in seinem Erdenleben
Ewiges, gleichviel in welchem Grade, zu
Bewußtsein kam.
.Was sich die meisten Menschen unter
dem Leben des ewigen Geistes und dem
21 Hortus Conclusus
menschlichen Erleben dieses geistigen
Lebens vorstellen, ist derart irdisch gefärbt
und derart kompliziert erdacht, daß es die
sicherste ‒ Ausschaltung wirklichen Er‐
lebens im ewigen Geiste bewirkt. Wer aber
einmal vor der unsagbaren Selbstverständ
lichkeit und nüchtern klaren Einfachheit
geistigen Lebens und Erlebens im Tiefsten
erschüttert stand, der weiß zu begreifen,
weshalb ich vor allen phantastischen Vor‐
stellungen warne, die im voraus festlegen
möchten, wie Geistiges dem Irdischen sich
darbieten „müsse”.
Ich habe wahrhaftig allem Darstellbaren
ewiger substantieller Geistgestaltung ein
Wahrbild in Worten erwirkt, und nur jene
Gebiete der Struktur geistigen Lebens mit
Schweigen umhegt, die sich jedem Ver‐
gleich, und somit jeder Erfassung in irdi‐
scher Sprache entziehen. Aber auch dieser
22 Hortus Conclusus
Gebiete erhabenstes Geheimnis ist durch
ihre unbeschreibliche, irdisch unvorstell‐
bare Einfachheit geschützt: ‒ durch das
über jede Frage hinaus „Selbstverständ‐
liche” des in ihnen zu erlebenden Ge‐
schehens. Es gibt da nichts Beunruhi‐
gendes, Aufregendes, Verblüffendes, Er‐
schreckendes oder gar „Unheimliches” zu
erleben, sondern vielmehr Welten abso
luter geistiger Klarheit, die jegliches Ver‐
schwommene, Fragwürdige und Ungewisse
ausschließen. So ist es in allen Bereichen
vollbewußten inneren, geistsubstantiellen
„ewigen” Lebens und mithin auch in der
ewigen Seele eines Irdischen, in der sich
ein Leuchtender des Urlichtes darlebt
innerhalb der Abmessungen seiner ihm
zubestimmten irdischen Zeit.
.Es ist jedoch der Leuchtende des Ur‐
lichtes nur darum der ewigen Seele des
ihm Dargebotenen im irdischen Leben ver‐
23 Hortus Conclusus
eint, weil allein durch solche Vereinung
auch allen anderen ewigen Seelen, die sich
zeitlich in Erdenmenschen erleben und
formen, die „Kraft aus der Höhe”: ‒ die
geistgeborene ewige Lichtesenergie ‒ zu‐
geleitet werden kann, deren sie zur Er‐
reichung ihres Erwachens im ewigen Be‐
wußtsein bedürfen. Was ich als Leuchten‐
der des Urlichtes in Worten lehre, mag
vielen zum ersten Anlaß werden, um durch
ihr eigenes Nachfühlen und Mitempfinden
sich allmählich für das Erwachen ihrer
ewigen Seele vorzubereiten, aber vom
ewigen substantiellen Geistigen her ge‐
sehen, ist mein bloßes geistigesDasein
innerhalb des Erdenlebens weitaus be‐
deutsamer als all mein bewußtes „Tun”,
wobei noch zu sagen ist, daß die in
Worte geformte, sichtbarlich aufnehm‐
bar gewordene Lehre wahrlich nur den
geringsten Teil dessen darstellt, was mir
24 Hortus Conclusus
vom ewigen Geiste her zu bewirken ob‐
liegt.
.Was aber mein bewußtes Tun ‒ wie im
Seelischen, so bei der sprachlichen Dar‐
legung lehrenden Bekundens ‒ am aller‐
ärgsten erschwert, ist die Diskrepanz zwi‐
schen der sich selbst immer weiter kom‐
plizierenden Kompliziertheit gehirnlich
bedingten Vorstellungserzeugens und der
irdisch unfaßbaren Einfachheit ewigen sub‐
stantiellen geistigen Lebens. Hier ist vor
allem in der sprachlichen Sphäre eine
Kluft zu überbrücken, über die sich nur
mit den Materialien aus der irdisch gehirn‐
lichen Vorstellungs- und Gedankenwelt
kompliziertester Trennungen die Brücke
spannen läßt. Da alle Worte einer mensch‐
lichen Sprache ‒ gleichviel welcher ‒
ungeeignet sind um als Ausdruck oder
Darstellung des Ureinfachsten dienen zu
können, muß man die kompliziertesten
25 Hortus Conclusus
Vorstellungen und Begriffsbilder heran‐
holen, will man irdischem Empfindungs‐
vermögen auf dem Umweg über die Sprache
Empfindungen nahebringen, die ihm un‐
erlebbar bleiben würden, hätte es keine
Möglichkeit, sie auf seine gedanklich kom‐
plizierte Weise auszulösen. Soll solcher
Brückenbau aber wirklich verbinden, was
ewig getrennt zu sein scheint, dann darf
nicht die Torheit begangen werden, das
Material aus dem Reiche gehirnlich er‐
wachsener Kompliziertheit, das ja nur ein
Überschreiten der Kluft ermöglichen soll,
durch philosophische Säuren und Scheide‐
wässer auflösen zu wollen, denn es hält
nur so lange, solange es nicht der denke‐
rischen Auflösung unterliegt. Eine Brücke
ist da, damit man über sie hinüberschreite,
aber nicht um sie unter den Füßen aus‐
einanderzunehmen!
26 Hortus Conclusus
Ich weiß wahrlich „ein Lied davon zu sin‐
gen”, was es für einen Menschen der in der
freien Ur-Einfachheit des Ewigen heimisch,
und dessen psychophysischer Empfindungs‐
organismus aus dem ihm normalerweise ir‐
disch entsprechenden Bindungszustande
gelöst ist, seelisch bedeutet, allen den tau‐
senderlei geradezu „höllischen” Schwin‐
gungen ausgesetzt sein zu müssen, die den
Lebensraum der gegenwärtigen, an ihrer
fortzeugenden Kompliziertheit fast erstik‐
kenden abendländischen Zivilisation durch‐
beben. Aber die Unmöglichkeit, ewiges
substantielles geistiges Leben in seiner un‐
geahnten Einfachheit innerhalb des Lebens‐
raumes dieser Zivilisation anders zur Ein‐
wirkung zu bringen als durch das irdische
Mitleben” eines aus dem Urlichte Leuch‐
tenden, legt mir ‒ als dem in dieser Zeit
dazu Geborenen ‒ kategorisch die Pflicht
des Mit-Lebens auf, der ich nie und nim‐
27 Hortus Conclusus
mer genügen könnte, wenn ich mich ‒ nur
vereint mit meinen, mir im ewigen Geiste
ewig gleichgeborenen geistigen Brüdern ‒
von den Bereichen äußeren Lebens, denen
meine europäischen und in der übrigen
Welt nach europäischer Weise lebenden
Mitmenschen einverwoben sind, fernhalten
oder gar dauernd sondern wollte.
.Wohl aber muß ich mir auch innerhalb
der Bereiche dieser komplizierten ‒ übri‐
gens keineswegs an sich und in Bausch und
Bogen „verwerflichen” ‒ abendländischen
Zivilisation dennoch eine relative Abge‐
schiedenheit schaffen, wenn es mir möglich
werden soll, alledem geistig zu entsprechen,
was mir in meinem Mitleben, zum Wohle
der Mitlebenden obliegt, denn das mir Ob‐
liegende verlangt Tag um Tag seine reich‐
lich bemessenen Stunden bedingungslos
dargebotener Einsamkeit.
28 Hortus Conclusus
VOM WECHSEL DES STANDORTES
UND VON DEN „STUFEN”
Es gibt im geistigen Leben keine Stufe,
auf der man es sich etwa versagen müßte,
wieder ganz die Haltung anzunehmen, in
der man sich fand, als man den Fuß vor‐
einst zu heben suchte um die allererste,
unterste Stufe zu betreten. Man darf allem
was einem begegnet und die Seele be‐
wegt, immer wieder unbefangen so gegen‐
übertreten, als hätte man noch keinerlei
Lehre erhalten, und als hätte man noch
nicht das Geringste im Geistigen der Ewig‐
keit erlebt.
.Es kann sogar sehr förderlich werden,
auch ohne besonderen Grund, von Zeit zu
Zeit solcherlei Standortwechsel vorzuneh‐
men. Wie die Maler gewohnt sind, nach
einer jeden durchgeführten neuen Vervoll‐
kommnung des Werkes, von der Leinwand
an der sie arbeiten, zurückzutreten, um
durch die Zusammenschau aller Bildpar‐
tien ein Urteil über das noch Nötige zu ge‐
31 Hortus Conclusus
winnen, so sollte auch der Mensch, der sich
zur Aufnahme ewigen geistigen Lichtes vor‐
bereitet, dann und wann Distanz zu sich
selbst gewinnen, damit ihm bewußt werde,
was zu der erstrebten Aufnahmefähigkeit
noch fehlt. Außerdem befestigt sich durch
solches freiwilliges Zurücktreten vor sich
selbst und dem bereits Errungenen, das
bereits Erlangte in ungeahnter Weise.
.Man würde sich aber sehr täuschen, wenn
man annehmen wollte, ich erteilte hier Rat‐
schläge, deren Befolgung einer leicht ei‐
nem anderen nahelegen könne, nachdem
er selbst dergleichen entrückt sei... Ich
kann mir vielmehr keinen Tag vorstellen,
an dem mein Bewußtsein nicht, aus mei‐
nem höchsten innersten ewigen Standort
herausgehend, alle Zwischenlagen wieder‐
erkunden würde bis zum untersten Tier‐
bewußten des vergänglichen Erdenkör‐
pers, den ich hier im Irdischen verbrauche.
32 Hortus Conclusus
Aus solcher Tiefe wieder in mein Ewiges
gelangt, bin ich imstande, erfühlend zu
ermessen, was jeweils aus dem ewigen Gei‐
stigen her getan werden muß. Wollte ich
mich immer nur auf meiner höchsten Höhe
erhalten, dann wäre ich nicht, der ich von
Ewigkeit her im ewigen „Augenblick” bin,
aus dem ich in diese Zeit nur dadurch ge‐
langen konnte, daß ich das Wagnis wagte,
aufzusuchen, was nur der „weiß”, der in
sich auch die tiefste Tiefe bewußt erlebt.
So bin „ich”: der im Urlicht Leuchtende,
‒ auch „ich”: ein im ewigen Geiste wie‐
der Bewußtgewordener aus denen, die
durch ihre Schuld in das Zeitliche fielen,
und zuletzt noch ‒ dem irdisch bewirkten
Anscheine nach ‒ „ich”: der vergängliche
Erdenmensch im Menschentier. ‒ Die Stu‐
fenleiter von meinem eigenen Höchsten
herab in mein Tiefstes, ist freilich wesent‐
lich stufenreicher als diese knappe Skiz‐
33 Hortus Conclusus
zierung vermuten läßt. Es kann nur über
das Einzelne nicht gesprochen werden, da
kein Verstehen zu erzielen wäre. Nur, wer
als Leuchtender des Urlichtes dazu befähigt,
selbst diese Stufenleiter hinab und wieder
hinauf zu steigen vermag, ‒ was dem Ir
dischen aus sich versagt ist ‒ weiß um die
differenzierte Art ihrer Stufen. Jedem an‐
deren Bewußtsein wäre auch ein Wissen
darum zu nichts nütze.
.Ich spreche von allen diesen Dingen, um
den törichten Gedanken, ‒ es könne etwa
„unter der Würde” sein, sich noch Emp‐
findungen zuzugestehen, die an die Besorg‐
nisse allererster Anfänge erinnern, ‒
gleich mit der Wurzel auszurotten, so daß
er niemals mehr erwachsen kann. Wenn es
mir Notwendigkeit ist, tagtäglich den
höchsten Standort meines ewigen geistigen
Bewußtseins zu verlassen, um den seeli‐
schen Zustand der in den tiefsten Erden‐
34 Hortus Conclusus
höllentiefen Lebenden mitempfindend zu
erleben, ‒ dann darf auch jeder Suchende
ohne Sorge sein, wenn er dann und wann
sich wieder wie auf seiner ersten Stufe
gewahrt.
.Der Segen aus dem ewigen Lichte würde
ihn auch dann ‒ und um gar vieles Inne‐
werden bereichert ‒ wieder zu seiner der‐
zeit höchsten Höhe des Bewußtseins hinauf‐
geleiten, wenn er sich zuweilen abgrund‐
tief unter den erfühlten Einsichten seiner
allerersten Wegstufe gewahren müßte. Die‐
ser Stufenweg kennt ja keine „Rangstufen”
von denen einer hinabgestürzt werden
könnte, sondern nur Stufen der Einsicht
und Erleuchtung, und es bleibt ganz dem
Suchenden allein überlassen, ob und wann
er sich gelegentlich zu einer früheren Ein‐
sichtstufe zurückbegeben will, um auf ihr
in der Erinnerung wie sodann beim Wie‐
deraufstieg, das ihm bereits insgesamt
35 Hortus Conclusus
Zuteilgewordene erneut zu durchleben.
Dieser ganze Stufenweg ist ein Weg des
„Innewerdens”. Darum ist jede Stufe, die
erklommen wird, nicht nur für alle Zeit,
sondern auch in der Ewigkeit bleibender
Besitz, der selbst dann erhalten bleiben
würde, wenn er durch irdische Schuld
äonenlang für das Bewußtsein unzugänglich
werden müßte. Zu solchem unsäglich be‐
klagenswerten Schicksal neigen aber glück‐
licherweise nur wenige.
36 Hortus Conclusus
ÜBER BEWUSSTSEINSLAGEN
UND LEIDHILFE
Es ist gewiß niemals ganz leicht, von
einem Bewußtseinsinhalt der irdisch nicht
geschildert werden kann, ‒ weil alle die
Klischeeworte, wie „absolute Harmonie”,
„reinste Klarheit”, „höchste Seligkeit”,
auch nicht entfernt vor ihm bestehen kön‐
nen, ‒ freiwillig zu scheiden um durch
immer unerleuchtetere Regionen hinab‐
zusteigen, bis man die Dumpfheit des
bloßen Tiermenschentums wieder gewahr
zu werden vermag, ‒ aber in alledem liegt
zugleich ein solcher Erlebensreichtum für
den noch der Erde Verbundenen, der na‐
turgemäß auch noch mit irdischen Meß‐
bändern zu messen versteht, daß ich es als
„Gnade”, empfinde, diesen täglichen Weg
immer neu erprüfen zu müssen.
.Gewiß muß auf diesem täglichen Weg ins
Dunkel und wieder zurück ins Licht, auch
alles Leid seelisch mit erduldet werden, das
alle die in verschiedenem Grade verdunkel‐
39 Hortus Conclusus
ten Regionen aufzuweisen haben. Das wäre
unerträglich, wenn ich nicht dazu seelisch
erzogen und geschult worden wäre, ‒
wenn ich nicht in jedem Leid zugleich die
„Lüge” am Werk sähe und um des Leides
sichere dereinstige „Umwertung” wüßte.
Ich muß aber zugeben, daß mir dieses, mit‐
unter alles bereits nur zu genau bekannte
noch um Unermeßliches übersteigernde
Leid zuweilen wahrhaftig nur mit Aufbie‐
tung aller seelischen Kräfte in all seinem
Furchtbaren bewußt miterleidbar wird,
und daß seine Schwingungen oft noch tage‐
lang peinigend in irdischem Bewußtsein
nachklingen, obwohl sie im ewigen Geisti‐
gen „augenblicklich” aufgelöst wurden.
Was will aber all mein freiwilliges Mitemp‐
finden, ‒ als eigenes seelisches Leid, ‒
besagen, gegenüber der Überfülle von Leid,
die in allen Bewußtseinsregionen ohne
Unterlaß unfreiwillig de facto erduldet
40 Hortus Conclusus
wird! ‒ Es wäre schon teuflische Gleich‐
gültigkeit dem Empfindenmüssen anderer
individueller Seele gegenüber, wenn einer,
der weiß, daß Miterleben hier nötig ist,
insoferne Linderung geschaffen werden
soll, sich vor diesem Miterleben scheuen
wollte, und es ist wahrhaftig kein „Ver‐
dienst” hier seiner selbst nicht zu schonen.
Kein einziger Bewußtseinsbereich öffnet
sich „von außen her”! Man muß selbst
vorübergehend in ihm nach seiner eigenen
Art bewußt sein wollen, wenn man inner‐
halb seiner Herrschaft Hilfe leisten kön‐
nen soll.
.Nach allem, was ich schon anderenortes
an Erläuterung gegeben habe, brauche ich
wohl kaum noch zu sagen, daß dieses frei‐
willig gewollte tägliche Miterleben der ver‐
schiedensten, nicht zur normalen eigenen
Bewußtseinslage gehörenden Bewußtseins‐
bereiche nicht etwa eine „Ortsverände‐
41 Hortus Conclusus
rung” bedeutet, und daß alles Miterleben
des in jedem Bewußtseinsbereich zu fin‐
denden Leides ein generelles Aufnehmen
der in diesem Bereich aktuellen Leid‐
„Schwingungen” darstellt, wobei mitemp‐
funden wird, was alle in dieser Region
durch Leid Gepeinigten primär empfinden,
aber ohne jede Aufrollung persönlicher
Schicksale innerhalb derer das Leid emp‐
funden wird. Die Hilfe besteht in der Aus
lösung der jeweils verlangten geistigen
Kräfte, die dann ohne jegliches Zutun
innerhalb des betreffenden Bewußtseins‐
bereiches ihr Wirken dort einsetzen, wo
es vonnöten ist: ‒ je nach dem Einzelfall
als Kraftspendung zur weiteren Ertragung
des Leides, als Leid-Linderung, Leid-Be
freiung, oder in irgendeiner anderen nö‐
tigen Form.
.Allerdings ist solches Miterleben und
wirksame Helfen nur möglich durch uner‐
42 Hortus Conclusus
hörten Verbrauch an irdischen Lebens‐
energien. Oft ist es nötig, in wenigen Stun
den mehr Lebensenergien zu verbrauchen,
als Menschen, die im intensivsten tätigen
äußeren physischen oder gehirnbedingten
Leben stehen, in vielen Monaten zu ver‐
brauchen vermögen. Im ewigen geistigen
Wirken Dahingegebenes ist dabei natür‐
lich dem Irdischen unwiederbringlich ent‐
zogen. Äußere intensivste Tätigkeit emp‐
findet man geistigsubstantiellem Wirken
gegenüber zwar im Irdischen wie Erho‐
lung, aber man kann nicht Beides zugleich
tun, und was im rein geistigen Wirken
verbraucht wird, fehlt immer unersetzbar
im Erdendasein. Aus dem Ewigen strö‐
mende Kräfte hingegen, die sich ins Irdi‐
sche transformieren lassen, schaffen hier
nicht etwa irdischer Energie Zuwachs, son‐
dern ‒ nur die Möglichkeit eines sonst
unmöglichen Mehrverbrauches irdisch ge‐
43 Hortus Conclusus
gebener Energien im Ewigen. ‒ Es ist
keineswegs etwa so, daß Ewiges des Irdi‐
schen nicht bedürfte! Nur was der im Ur‐
lichte Leuchtende während seines Erden‐
lebens für sein Wirken im Ewigen freizu
halten weiß, kann er dort einsetzen, wo
er geistig helfen, und wo er vermeidbares
Leid verhüten will, gleichviel, welche Be‐
schwerde ihm selbst sein irdisches Dasein
aufbürden mag, das seiner ganzen Natur
nach ja nur ein Leben für Andere ist, ohne
Wahl und Frage.
44 Hortus Conclusus
VOM BEWUSSTSEIN
DER ABGESCHIEDENEN
Die stets wiederholten Erkundungen ei‐
ner ansehnlichen Reihe verschiedener Be‐
wußtseinslagen, wie sie zu meinen freiwillig
übernommenen täglichen geistigen Oblie‐
genheiten gehört, umfassen natürlich auch
die Bewußtseinsbereiche der von dieser
Erde Abgeschiedenen. Auch da aber gibt
es hinsichtlich der Unmöglichkeit, be‐
stimmte Einzelschicksale auszuforschen,
keine Ausnahme.
.Hingegen liegt die Zeit noch nicht lange
zurück, die mich episodisch auf andere,
nur schwer erträgliche Art in der Möglich‐
keit sah, unter gewissen seltenen aber
durchaus nicht von mir allein abhängigen
Verhältnissen, kurzen Kontakt auch mit
individuell bestimmten, von der Erde ab‐
geschiedenen Seelen innerhalb ihres Be‐
wußtseinsbereiches zu erlangen. Es war das
die nicht gerade erwünschte und auch ge‐
wiß von keiner Seite her erstrebte psy‐
47 Hortus Conclusus
chophysische Nachwirkung gewisser Not‐
wendigkeiten meiner früheren jahrelangen
geistkörperlichen Schulungen, und ich
habe sehr darunter gelitten, ‒ auch kör‐
perlich! ‒ da die ganze Situation einen
unerhörten Kräfteaufwand verlangte, um
ihr gewachsen zu bleiben. Gewiß konnte
ich auch in einzelnen Fällen Menschen die
ihnen Liebes verloren hatten, authenti‐
schen Trost bringen, aber die Vermittler‐
schaft zwischen auf der Erde im Sichtbaren
Lebenden und denen, die diese Sichtbar‐
keit verlassen haben, ist weder im physisch
kosmischen, noch vom ewigen geistigen
All her vorgesehen, und am allerwenigsten
könnte sie gerade meine Aufgabe sein. Ich
war daher recht froh, eines Tages keiner
Gegenwehr mehr zu bedürfen, und dann
immer deutlicher diesen unerwünschten
Zustand einer nicht gewollten Sensitivität
im Abklingen zu gewahren. Aber noch
48 Hortus Conclusus
mehr war ich erfreut, als es mir gelungen
war, ihn definitiv zu beenden, und ich
trauere ihm gewiß nicht nach.
.Über die Beziehungsmöglichkeiten eines
Leuchtenden des Urlichtes zu erdentrück‐
ten Menschenseelen herrschen selbst unter
sonst recht einsichtigen und belehrbaren
Menschen leider phantastische Vorstellun‐
gen. „Richtig” vermutet wird dabei nur,
daß wir imstande sind, innerhalb der Be‐
wußtseinsbereiche irdisch „Gestorbener”
zu empfinden. Was das aber in Wahrheit
bedeutet, macht man sich keineswegs klar,
‒ denn es bedeutet nichts anderes, als im‐
stande zu sein, sich selbst innerhalb der Be‐
wußtseinsbereiche Gestorbener als realiter
auf Erden „verstorben” zu empfinden. ‒
.Statt dessen aber nehmen sonst recht
urteilsfähige Menschen überlegungslos an,
es müsse einem doch ein Leichtes sein,
unter ungezählten Millionen Seelen, die
49 Hortus Conclusus
zu innerst in beglückender Konzentration
auf ihr geistig gegebenes Licht versunken
sind und allen „Anruf” als bitterste Stö‐
rung empfinden würden, eine bestimmt
bezeichnete Seele geradezu „herbeizu‐
rufen” um von ihr gleichsam eine Art
jenseitiges „Interview” zu erhalten.
.Daß Menschen, die schwer ertragbaren
irdischen Verlust durch das Abscheiden der
ihrem Herzen unlösbar Verbundenen aus
dieser physischen Sinnenwelt erlitten ha‐
ben, zu jeder Naivität fähig werden können,
zeigen in erschütternder und erschrecken‐
der Weise die enormen Zahlen der Anhän‐
ger des Mediumismus, mögen sie sich
noch wie früher „Spiritisten” nennen oder
den etwas anrüchig gewordenen Namen mit
einem neuen, ebenso irreführenden ver‐
tauscht haben. Man sollte doch wahrhaftig
unter den Lesern meiner Lehrschriften als
unter Leuten, die sich mir als meine Schü‐
50 Hortus Conclusus
ler zurechnen, solcher Ahnungslosigkeit
jenseitigen Dingen gegenüber nicht mehr
begegnen müssen, aber auch in diesen doch
wahrlich genügend unterrichteten Kreisen
stößt man noch auf Einzelne, für die das
Buch vom Jenseits” ebenso nicht zu exi‐
stieren brauchte, wie alles Andere, was ich
an so vielen sonstigen Stellen über das
gleiche Thema mitgeteilt habe.
.Die einzigen Abgeschiedenen, denen
man auf die Art „begegnen” könnte, wie
die oben charakterisierte Naivität sich das
vorstellt, wären die ‒ wahrhaftig „armen”
‒ Seelen, die noch in ihren selbstgeschaf‐
fenen „Strandreichen” ihr Wesen treiben.
Aber sie sind ja derart im Banne ihrer
Schöpfung, daß sie nichts anderes erleben
wollen und daher nichts zu erleben ver
mögen, als was sie sich durch ihren eigenen
Glauben, als das für sie allein zu Erlebende,
gestalten und nach ihrem „Außen” proji‐
51 Hortus Conclusus
zieren. Es ist uns unmöglich, uns ihnen er‐
kennbar zu machen, bevor sie die von der
Erde mitgebrachten Glaubensenergien auf‐
gebraucht haben, und das kann sehr lange
währen. Menschenseelen, die Jahrtausende
vor unserer Zeitrechnung in einem Erden‐
körper lebten, sind heute noch in ihre
„Strandreiche” gebannt! Es gibt da auch
keine „Massenerweckungen”, sondern die
Auflösung dieser durch fehlgeleitete Glau‐
bensenergien geschaffenen Kollektivgebil‐
de erfolgt, ‒ auch in den günstigsten Fäl‐
len, ‒ immer nur sporadisch infolge des
Aufwachens Einzelner und wieder Einzel
ner. Aber ich habe ja schon genug über
diese Dinge öffentlich mitgeteilt, so daß
ich kaum noch Erläuterndes bringen kann.
.Wie man wirklich mit Denen in Bezie‐
hung bleibt, die uns im Irdischen für die
physische Wahrnehmung entzogen wurden,
habe ich wahrhaftig ebenfalls deutlich ge‐
52 Hortus Conclusus
lehrt, so daß ich nur auf das Gegebene zu
verweisen brauche. Wir Leuchtenden des
Urlichtes aber können den Abgeschiede‐
nen die zu erreichen sind, nur lehrend und
erleuchtend helfen, in überpersönlicher
Weise.
53 Hortus Conclusus
VOM HOHEN EINSATZ DES
HELFENDEN
Bei dem Hinabsteigen in niedere Bewußt‐
seinsbereiche sind es nicht die sachlich in
der Struktur dieser Bereiche zu findenden
„Gefahren”, die dem Leuchtenden des Ur‐
lichtes zu schaffen machen können. Vor
diesen Bedrohungen weiß sich der geistig
Bewußte zu schützen, wo immer sie ihm
begegnen mögen. Was ihn hingegen immer
wieder doch mit Grauen zu bedrängen
sucht, sobald er in Bewußtseinslagen hin‐
absteigt, die einen zeitweisen Verzicht auf
die ihm gemäße Bewußtseins-Stufe ver‐
langen, ist das unerbittliche Wissen darum,
daß er sich damit seiner geistigen Macht
zeitweilig begibt, und somit solange ohne
Wehr bleibt gegenüber möglichen „Über‐
fällen” zerstörender Kräfte des Unsicht‐
baren der physischen Welt, ‒ wobei dieses
Wissen auch darum weiß, daß immerfort
subjektive Vernichtungsimpulse auf den
günstigsten Augenblick zur Auslösung sol‐
57 Hortus Conclusus
cher Überfälle auf jeden der Leuchtenden
des Urlichtes warten, der ihnen in dem
irdisch Zugänglichen erreichbar wird. Der
Mensch auf niederster Bewußtseinsstufe,
die aber zur Zeit die seine ist, bleibt ge
schützt vor jedem Angriffsversuch verder‐
benbringender Impulse aus der unsicht‐
baren physischen Welt, solange er nur sein
eigenes Fühlen und Wollen freizuhalten
weiß von gleichgearteten Zerstörungsten‐
denzen. Der Leuchtende des Urlichtes aber,
der sich bewußten Willens in eine ihm nicht
gemäße Bewußtseinsregion begeben will,
kann das nur, wenn er sich selbst zeitwei‐
lig aus seinem ihm zugehörigen geistigen
Bewußtsein löst und für bestimmte Dauer,
auf seine eigene geistige Form verzichtend,
niedere Form als „sich selbst” empfindet,
wobei er sich naturnotwendig selbst ent
waffnet halten muß, was jene Unsichtbaren
und ihre sichtbaren Handreicher sehr wohl
58 Hortus Conclusus
wissen, denen das irdische Wirken eines
jeden Leuchtenden des Urlichtes schwer‐
sten Abtrag für ihre eigene zeitbestimmte
Existenz bedeutet.
.So ist jedes derartige Niedersteigen ‒
scheinbar ‒ tollkühne Torheit. Und wenn
man auch, ‒ vom Irdischen her betrach‐
tet, ‒ sein Tun mit ganz alltäglichen Ge‐
fahren vergleicht, denen man sich tausend‐
mal ausgesetzt hat und denen sich Tag um
Tag unzählige Menschen in aller Welt schon
auf den Wegen zu ihrer Arbeitsstätte aus‐
zusetzen gezwungen sind, ‒ ganz abge‐
sehen von allen, deren Beruf an sich schon
voller Gefahren ist und zu ihrer Bewälti‐
gung jederzeit furchtlose Ruhe voraus‐
setzt, ‒ dann bleibt doch die unerhörte
Höhe des Einsatzes unterscheidend, da die
Gefahren des Alltagslebens in einer großen
Stadt oder in gefahrumdrohtem Beruf zwar
das irdische Leibesleben in Frage stellen
59 Hortus Conclusus
können, ‒ niemals aber: im Irdischen er‐
langtes geistiges Bewußtsein des eigenen
Ewigen. ‒ Hier steht für den Leuchten‐
den des Urlichtes nichts Geringeres als der
Bewußtseinsverlust seines im Geiste be‐
wußten Irdischen zu befürchten, und kei‐
ner weiß im voraus mit Sicherheit, ob
es ihm bis zur Beendigung dieses Erden‐
lebens gelingt, sich seiner selbst immer
wieder auch erdenmenschlich bewußt zu
werden, oder ob ihm sein Irdisches eines
Tages doch für sein Ewiges verlorengeht: ‒
auf Erden also nichts von ihm übrig bleibt
als ein Irrsinniger oder eine kindisch ver‐
blödete Karikatur seiner selbst. Das ist
die wirkliche Gefahr in der noch jeder bis
zum irdischen Abscheiden schwebte, der
ewiges Licht in dieses Erdenleben brachte!
Was will dagegen alles jemals mögliche
physische und seelische Leid bedeuten! ‒
Es ist ein „Nichts” gegenüber dem, was
60 Hortus Conclusus
hier ständig bis zum letzten Atemzug
droht. Sowohl vom ewigen Geistigen, wie
von dem sein zeitumgrenztes Behagen su‐
chenden Erdenmenschlichen her gesehen,
ist wahrlich kein Anlaß gegeben, solchen
Gefahrzustand aufzusuchen, wo er nicht
unbedingte Voraussetzung einer unerläß‐
lichen geistigen Hilfeleistung ist, die allein
es ewiger Liebe möglich macht, ihr un
zugänglich gewordenes Bewußtsein wie‐
der zu erreichen.
.Ich werde kaum noch zu sagen brauchen,
daß natürlich solche Gefahr niemals ande
ren Erdenmenschen nahekommen kann,
einerlei welche Höhe der Einsicht sie be‐
wußt zu erreichen vermögen, denn selbst
wenn sie es wollten, könnten sie sich nicht
aus dem von ihnen erlangten Bewußtseins‐
bereich lösen um sich in geistesfernen Be‐
wußtseinslagen wach zu erleben.
.Träume können gewiß in die Gespinste
61 Hortus Conclusus
eines der unzähligen „Strandreiche” ver‐
flechten, deren Influenzen ja auch das tag‐
wache menschliche Trieb- und Empfin‐
dungsleben unausgesetzt erfährt, wenn der
Einzelne sich nicht selbst kategorisch feste
Richtlinien gibt, für das, was er an unsicht‐
baren Einflüssen anzunehmen gewillt ist
und das, was an ihm abprallen soll. Aber
mag auch das, was da geträumt wurde, so
lebhaft gewesen sein wie das eindrucks‐
vollste Tageserlebnis, so war es doch nie‐
mals etwas anderes als ein Traum, denn
es ist ja ‒ glücklicherweise ‒ nur den
Leuchtenden des Urlichtes allein möglich,
die Bewußtseinsakkumulierungen, die ich
als „Strandreiche” jenseitiger Welt be‐
zeichnet habe, wachbewußt wahrzuneh‐
men. Aus dieser Scheidung allein erhellt
schon, was von allen den wirklichen oder
vermeintlichen „Hellsehern” und ähnli‐
chen Leuten zu halten ist, die mit „Erleb‐
62 Hortus Conclusus
nissen auf geistigen Ebenen” aufzuwarten
pflegen, ohne auch nur zu ahnen, daß ihnen
nicht einmal die besagten „Strandreiche”
zu wachem Erleben offenstehen, wenn
ihnen auch Trance- und Traumzustände ge‐
legentliches halbwaches Bewußtwerden er‐
lauben.
.Dabei will ich nun aber auch noch einen
Irrtum aufklären, der beinahe „Gemein‐
gut” ist, so daß ich mich nicht wundere,
ihn unter jeglichem menschlichen Mei‐
nungsgepäck zu gewahren. Es geht hier um
die irrtümliche Meinung: in allen „jensei‐
tigen” Zuständen müsse alles Empfinden,
Erkennen und Erleben allen auf gleicher
Bewußtseinsebene Bewußten gemeinsam
sein, so daß jeder individuelle Unterschied
wegfalle. Das ist aber lediglich eine der
zahlreichen „erdachten” Erkenntnisse, mit
denen sich der Erdenmensch „jenseitiges”
Dasein faßbar zu machen sucht. Die Wirk‐
63 Hortus Conclusus
lichkeit sieht anders aus und kennt auf je
der „jenseitigen” Bewußtseinshöhe unzäh‐
lige distinkte Unterschiede des Eigenbe‐
sitzes. Wohl aber gibt es in „jenseitiger”
Erfahrungsweise keine der hier im Tier‐
menschentum der Erde gründenden Mög‐
lichkeiten der Verstellung voreinander,
und keiner kann sich eine „Geltung” ver‐
schaffen, die seinem wirklichen Werte
nicht entspricht.
.Ich muß aber davor warnen, sich zu viel
Gedanken” über das nachirdische Leben
zu machen. Was man durch mich bereits
darüber weiß, genügt reichlich, um das ir‐
dische vorübergehende Dasein so zu be‐
stimmen, daß es seine wahrlich nicht ge‐
ringen Resonanzkräfte zur Verfügung stel‐
len muß, um dem Suchenden zu ermög‐
lichen, bereits hier und heute den Charak‐
ter „jenseitigen” Lebens mit Sicherheit
kennenzulernen.
64 Hortus Conclusus
VOM SPOTTBILD
DES EWIGEN „ICH”
Wenn sowohl in der mittelalterlichen als
auch in der so viel älteren orientalischen
Mystik die Abkehr vom „Ich”, ja das innere
Auslöschen des „Ich” verlangt wird, so
darf ich gewiß von mir sagen, daß es wohl
kaum einen „Mystiker” auf Erden gab,
der mit solcher Bestimmtheit von sich wis‐
sen konnte, daß dieses vergängliche „Ich”
in ihm bis auf den letzten Funken ausge‐
brannt sei, wie ich das von mir ‒ aus mei‐
nem bewußten ewigen Geistigen her ge‐
sehen ‒ unumstößlich weiß. Sage ich also
in meinen Lehrtexten dennoch, daß der
Weise „Ich” ist von Grund auf, und daß
alles in ihm untertan ist seinem „Ich”, so
liegt doch wohl zutage, daß ich mit dem
gleichen Worte etwas Anderes meine als
die erwähnten „Mystiker”. Ich rede viel‐
mehr: ‒ vom Entgegengesetzten, ‒ von
der ewigen, aus dem ewigen Geiste stam‐
menden Urgestalt, deren verzerrte tier‐
67 Hortus Conclusus
heitsbestimmte Vortäuschung allein jene
Meister der Mystik meinen. Ich warne
wahrhaftig nicht vor der Verachtung dieser
Maske, die sich „Ich” nennt! Leider ge‐
nießt sie ja in aller Welt und unter allen
Völkern ein solches Ansehen, daß fast
keiner, der sie mit sich identifiziert
noch merkt, wie er damit nur sein
wirkliches Selbst karikiert. Kein Wunder,
daß nur so wenige Menschen das Trugbild
fahren zu lassen willens sind, wie das un‐
erbittliche Voraussetzung für das Bewußt‐
werden in der geistigen Urgestaltung
„Ich” ist! Man hat sich im selbstgeschaf‐
fenen Trugbilde seines ewigen „Ich” viel
zu lieb, ist viel zu sehr von seiner tatsäch‐
lich vorhandenen irdischen Geltung, von
wirklicher oder vermeintlicher, diesem
Trug-Ich zugedachter Bedeutung durch‐
drungen, als daß man sich noch dazu
überreden möchte, das gekannte, anschei‐
68 Hortus Conclusus
nend so Sichere dahinzugeben um eines
vermeintlich so Unsicheren willen, wie der
eigenen ewigen Urgestaltung „Ich”. ‒
.Keiner weiß mehr, daß das, was er im
Begriff und Wort „Ich” zusammenbündelt,
nur ein irdisch Angenommenes ist, das ihm
nur darum anzunehmen möglich wird,
weil die ihn durchlebende geistige Urge‐
staltung „Ich” das ihm unbewußte Vor
bild abgibt, dem er die seinen irdischen
Neigungen am meisten entsprechende Dar‐
stellung seiner selbst in sich gegenüber‐
zustellen sucht und so seinen täuschenden
„Ich”-Begriff sich selber suggeriert. ‒
.Das zum ersten Erkunden seiner Umwelt
fähig gewordene Kind weiß noch nicht, was
das ist, wenn eine Stimme in seiner Um‐
welt „Ich” sagt. Es ist sich selbst noch „Um‐
welt”, in der offenbar, wie ihm seine kleine
Alltagserfahrung zeigt, alle Dinge mit ge‐
wissen Lautverbindungen zusammenhän‐
69 Hortus Conclusus
gen. So hört es denn auch eine bestimmte
Lautegruppe immer mit seiner Selbstäuße‐
rung in Verbindung gebracht und lernt
seinen „Namen” in seiner Umwelt genau
so mit sich identifizieren, wie das auch
einem jungen Tiere gelingt, das in Men‐
schennähe lebt. Will das Kind aber, ‒ das
ja vor allen Tieren die Möglichkeit einer
differenzierten Sprache voraushat, ‒ sich
selbst bezeichnen, so nennt es das Stück
seiner Umwelt, das es für sich selber ist,
indem es den immer wieder dafür gehörten
Namen” sagt. Erst viel später lernt es
dann auf mechanische Art durch Nachspre‐
chen: ‒ „Ich” sagen und dann auch all‐
mählich begreifen, daß das scheinbar der
Allen gemeinsame „Name” ist, wenn sie
von sich zu sprechen haben. Sagt das Kind
nun aber fortan auch zu sich selber: „Ich”,
so ist doch der Umfang und die Tiefe sei‐
nes Bewußtseinsinhaltes dadurch in keiner
70 Hortus Conclusus
Weise verändert, wenn auch den Erwach‐
senen der Gebrauch der ihnen so wichtigen
Selbstbezeichnung bei dem kleinen Wesen
wie ein gewaltiger Fortschritt erscheint.
.Für den heranwachsenden, wie später
für den erwachsenen Menschen, bedeutet
all seine Lebenserfahrung eine mosaikartig
geformte Zusammensetzung von vielem
Einzelnen, das erst „Umwelt” war, bis es
sich dem schon in kindhafter Zeit gebil‐
deten Selbstbegriff „Ich” einfügen ließ,
und falls unter dem vielen Einzelnen auch
der Glaube an eine Bewußtseinsfortdauer
über den Tod hinaus zu dem eigenen „Ich”‐
Mosaik gehört, dann erscheint dem Selbst‐
bewußtsein im „Ich” nichts einleuchten‐
der, als daß alle seine zusammengelebten
Inhalte auch auf „ewige” Dauer Anspruch
haben müßten.
Wenn dann aber doch die abgründige
71 Hortus Conclusus
Naivität dieser Annahme zu Bewußtsein
kommt, dann ist die Erschütterung derart
zerreißend, daß sich aller übrige Selbst‐
bewußtseinsinhalt nicht nur von dem vor‐
maligen Glauben, sondern auch von jeder
Möglichkeit, ihm eine weniger gefahrum‐
drohte Begründung zu finden, in brüsker
oder elegischer Weise löst. Eine Revision
der einzelnen Mosaiksteine auf ihre mög‐
liche Ewigkeitsbeständigkeit hin, und ein
rücksichtsloses Ausmerzen des mit Sicher‐
heit Vergänglichen aus dem „Ich”-beton‐
ten Bewußtseinsinhalt erscheint nicht nur
als unerfüllbare Zumutung, sondern auch
als aussichtslos. Man hat ja jeglichen Prüf‐
stein mitverloren, nach dem man be‐
stimmen könnte, was ewigkeitsgezeugt und
was irdisch vergänglich ist, so daß man nun‐
mehr nur dann noch sicher zu gehen meint,
wenn man unterschiedslos Alles dem Unbe‐
ständigen tellurischer Existenz zurechnet.
72 Hortus Conclusus
.Es ist ein Spottspiel, das von Gläubigen
wie von den ungläubig Gewordenen mit
dem ewigen „Ich” getrieben wird, dem
allein sie zu danken haben, daß sie nicht
nur Tiere, sondern auch „Menschen” sind:
denn der „Mensch” wurzelt nicht auf
der Erde, sondern im Herzen der Ewig
keit, ‒ im innersten Göttlichen, das in
seinem höchsten Selbstbilde „Mensch” in
sich selber ist! Damit aber, statt des Spott‐
bildes, das ewigeIchder Wirklichkeit
im Erdenmenschen Fleisch und Blut durch‐
dringe, wird vom Ewigen her wahrhaftig
nicht verlangt, daß alles aus dem Bewußt‐
sein schwinde, was nicht „ewiger” Abkunft
ist. Wohl aber muß unerbittlich im Bewußt‐
sein unterschieden werden, was ewiger
und was zeitlicher Inhalt ist. Lange Zeit
braucht es unausgesetzte Sorgfalt, damit
sich nicht morgen womöglich unversehens
das wieder in dem ihm verwehrten Be‐
73 Hortus Conclusus
wußtseins-Innersten: ‒ im „lch”, ‒ er‐
neut einwachse, was gestern ausgerottet
erschien. Es ist, wie wenn man einen mit
Unkraut überwucherten Acker zu einem
geordneten Garten voll edelster Gewächse
umschaffen will. Erst wird der Boden wie‐
der und wieder gepflügt, und rücksichts‐
los unter der Hacke gereinigt werden
müssen, bis er ganz leer wird von allem,
was vorher seine Kräfte saugte. Dann aber,
nachdem man das Neue einpflanzte, wird
es noch langehin eifrige Wachsamkeit ko‐
sten, damit nicht zum wiederkehrenden
Wachstum komme, was ausgerodet wurde,
was aber Vögel und Wind immer wieder
unvermerkt auszusäen wissen.
.Das alles ist kein gedankliches Tun,
sondern Empfindungsarbeit mit der schar‐
fen Pflugschar und dem kräftigen Grab‐
scheit aus unabnützbarem geheimnisvol‐
lem Stahl, der nur in der Glut des innersten
74 Hortus Conclusus
seelischen Fühlens geschmiedet werden
kann... Man läßt aber statt dessen leider
zuerst immer noch die früher vertraut ge‐
wordenen gedanklichen Scheinerkennt
nisse in sich weiterwachsen, und hier ist
auch die Ursache dafür zu suchen, daß viele
von Zeit zu Zeit das Drängen in sich fühlen,
sich für ewig Wirkliches, das nur erlebend
zu erlangen ist, ‒ vorläufig ‒ ein zusam‐
mengedachtes Surrogat zu schaffen, das sie
dann in der Folge am konkreten Empfin‐
den des Wirklichen hindert, zu dem sie
doch vordringen wollen. ‒
75 Hortus Conclusus
NOCHMALS
ÜBER WAHRHEIT
UND WIRKLICHKEIT
Wahrheit” und substantiell-geistige
„Wirklichkeit” sind nicht das Gleiche,
auch wenn alles Wahre im Wirklichen grün‐
det! Wahrheit ist immer ein Bild der Wirk‐
lichkeit, wenn auch ‒ dem Anspruch des
Wortes nach ‒ unter allen Umständen ein
klargeprägt „ähnliches” Bild, bei dem nur
solche, „Retouchen” mit Stichel und Schab‐
eisen in Kauf genommen werden können,
die dazu dienen, eben diese „Ähnlichkeit”
noch zu vertiefen und klarer zutage zu
bringen. Während dieses Bild aber immer
„Bild” bleibt und niemals die ewige sub
stantiellgeistige Wirklichkeit selbst ist,
bleibt diese ewig die Ursache jeglicher
Wahrheitserkenntnis. Ich treibe hier durch‐
aus nicht etwa ein Spiel mit Worten! Die
beiden Begriffe bezeichnen Konkretes, das
genauestens auseinandergehalten werden
muß. In dem Buche: „Der Weg zu Gott”
ist schon vieles Hierhergehörige gesagt.
79 Hortus Conclusus
Wenn ich von ewiger geistsubstantieller
„Wirklichkeit” spreche, so will ich das auf
Erden mit irdischen Sinnen Unwahrnehm
bare, in sich selbst Lebendige und jeder‐
zeit „Ewige” gemeint wissen, das Jesus
„das Reich der Himmel” nennt: ‒ das alle
Dauer in sich allein umschließende Reich
des substantiellen Geistes, der die einzige
unausschöpfbare Fülle aller Kräfte ist ‒
nichts, was mit dem „Denken” zu tun hat
‒ nichts Erdachtes, ‒ sondern ewigkeits‐
gezeugter „Raum”. Weniges steht dem
inneren Auffinden dieser ewigen Wirklich‐
keit hindernder und bösartiger im Wege,
als der schauerlich verhängnisvolle Ge‐
brauch, das Wort „Geist” anzuwenden,
wenn von irgendwelchen Äußerungen des
menschlichen Gehirns: ‒ von Gedanken
und Gedankenverknüpfung, „Gedanken‐
leben” und Denkerarbeit die Rede sein
soll. Wenn man diesen, durch die Tätigkeit
80 Hortus Conclusus
des irdisch-physischen Gehirns emporge‐
wirbelten Gedankenrauch als „Geist” zu
bezeichnen gewohnt ist, dann hält es wahr‐
haftig schwer, sein Bewußtsein aufnahme‐
bereit zu machen für den „creator spiri‐
tus”, den Schöpfergeist der Ewigkeit, der
das aus sich selber souveräne „ewige Le‐
ben” ist und alles in seinem substantiellen
Sein umfaßt, was seines Reiches Zeugung
darstellt, aber nichts in sich aufnimmt, was
nicht in Ewigkeit aus ihm hervorgegangen
war. Nur weil der Erdmensch, in seinem ir
disch unfaßbaren Kern, geistiger Zeugung
„Zeugnis” aus aller Ewigkeit her ist, kann
er, der sich selbst aus dem ewigen „Augen‐
blick” in die trügerische Scheindauer der
kosmischen „Zeit” fallen ließ, dereinst wie‐
der in sein Reich eingehen, mitnehmend aus
seinem irdischen Bewußtsein, was er mit‐
nehmen will, soweit es den inhärenten Ord‐
nungen dieses Reiches nicht widerspricht.
81 Hortus Conclusus
.Dieser ewigen „Wirklichkeit” gegenüber
ist ihr nachgeformtes Bild: ‒ die „Wahr‐
heit”, ‒ im Irdischen erfolgte Prägung, ‒
Ausformung des Siegels der Ewigkeit in
irdischem Siegelwachs! Der Mensch aber,
der nicht das Siegel des ewigen Geistes in
sich trägt, kann nicht die Wahrheit aus dem
ewigen Wirklichen künden, auch wenn er es
mit allen seinen irdischen, und allen Kräf‐
ten seiner ewigen Seele will! ‒ Es handelt
sich ja hier nicht um das biedere mensch‐
liche „Die-Wahrheit-sagen-wollen”, son‐
dern um das Bezeugen des eigenen Ge
prägtseins durch die ewige Wirklichkeit,
und nur wer solchermaßen die Wahrheit
aus der ewigen Wirklichkeit in sich trägt,
kann aus der Wahrheit Kunde geben, weil
sein eigenes Bewußtsein in der ihm ein‐
geprägten Wahrheit leuchtend wurde und
lebendig ist!
82 Hortus Conclusus
VON ZEITLICHEM
UND EWIGEM RAUM
Daß man in der wissenschaftlich betrie‐
benen Geometrie, durchaus ernsthaft und
keineswegs in okkultistische Glaubenssätze
verfangen, mit der Möglichkeit vier-dimen‐
sionaler Raumverhältnisse rechnet, ja viel
dimensionale Räume durchaus nicht als
etwas Unmögliches ansieht, ist allen Unter‐
richteten bekannt. Niemand wird sich un‐
verantwortbarer Phantastik zu beschul‐
digen haben, wenn er als gesichert an‐
nimmt, daß diesen Errechnungen ebenso
bestimmte, im kosmischen All-Raum zu
findende Tatsachenbeweise entsprechen,
wie den astronomischen Errechnungen von
Himmelskörpern die dem gewaltigsten
Fernrohr unsichtbar bleiben, aber durch
Beobachtungen ihrer Umgebung in zwin‐
gender Weise als örtlich dennoch vorhan‐
den erwiesen werden.
.Aber die geometrisch errechenbaren
Räume stecken gewissermaßen alle ver‐
85 Hortus Conclusus
steckt in dem uns erfahrbaren drei-dimen‐
sionalen Raum, auch wenn wir normaler‐
weise als drei-dimensionale Wesen die vier‐
bis „n”-dimensionalen Raumgebilde und
Raumwesen nicht wahrnehmen können.
Wir dürfen uns nur durch diese Unmöglich‐
keit des sinnenfälligen Wahrnehmens kei‐
nesfalls verleiten lassen, zu glauben, es
handle sich bei den durch geometrische
Denkformen in die Vorstellung eingeführ‐
ten mehr als dreidimensionalen Räumen
um etwas Anderes als das uns Unwahrnehm‐
bare der physischen Welt. Mit dem, was
ich den ewigkeitsgezeugten „Raum” im
ewigen Geiste nenne, haben alle diese
geometrisch eruierbaren Räume absolut
nichts zu tun. Das Ewige liegt, allem Er‐
rechenbaren, allem durch Denkmetho‐
den zu Findenden unerreichbar, zwar
am gleichen Ort wie die physische Welt,
aber gänzlich unvorstellbar im Bilde ir
86 Hortus Conclusus
disch zu errechnender Raumvorstellun
gen!
.Wohl aber ist die Geometrie mit ihrer
gedanklichen Erschließung vieldimensio‐
nalen Raumes ganz nahe daran, gewisse
wohlbeobachtete und heute kaum noch
von den ärgsten Ignoranten abzuleugnende
„metapsychische” Vorkommnisse zu fassen,
womit, wenn es gelänge, auch der auffallend
stumpfsinnig alberne Charakter so vieler
„spiritistischer” Manifestationen der Le‐
murenwesen in der dem dreidimensionalen
Auge unsichtbaren physischen Welt, als
eine unentrinnbare Notwendigkeit erwie‐
sen würde, die aus der Raumfremdheit der
gelegentlich dann im drei-dimensionalen
Raum agierenden lemurischen „Masken”
zu erklären wäre.
.Das ganze Weltenall ist „durchsetzt”, mit
Raumwelten, die einander normalerweise
unwahrnehmbar sind, solange nicht eine
87 Hortus Conclusus
Art „Isolationsbeschädigung” vorüberge‐
hend Kontakte, mit der Folgeerscheinung
des Einanderdurchdringens verschieden‐
räumiger „Materie”, schafft. Nur das abso‐
lute „Nichts”, ‒ das als eine sehr reale
Sache dieses ganze Weltenall in ewiger
Starre, als irdisch unvorstellbar „Hartes”,
umgrenzt, ‒ ist ohne Raum und außer
allem als möglich gegebenen Raum: ‒ ab‐
solut distanzlos, gehirnlich auch im Bilde
nicht begreiflich.
.Ewiger „Raum” aber durchdringt alle
verschiedenräumigen Welten, ohne den sie
Wahrnehmenden: ‒ den in ihnen allein
sich erlebenden Wesen, ‒ aus ihrem eigen‐
raumbedingten Vermögen heraus ebenfalls
wahrnehmbar zu sein. Nie könnten Erden‐
menschen ihn erfahren, wären sie nicht in
ihrem ewigen Lebenskern geistig-substan‐
tiell mit ihm identisch! Diese Sachlage wird
durch die Unfähigkeit der Allermeisten,
88 Hortus Conclusus
sich während ihres Erdenlebens in diesem
innersten Kern zu erkennen, absolut nicht
beeinflußt, und diese Unfähigkeit ist nichts
Unentrinnbares, sondern bloß eine ver‐
hängnisvolle Folge bequemer Gemütsträg‐
heit. Mit dem „Verstand” ist da freilich
nichts zu ändern!
.Der Verstand braucht Material, mit dem
er arbeiten kann, und er ergreift jedes Ma‐
terial das man ihm vorlegt, nimmt es in
Arbeit und macht schließlich daraus, was
er daraus machen kann, je nach seiner eige‐
nen Kraftentwicklung und geordneten
Schulung. Um aber den innersten ewigen
Kern in sich zu finden: ‒ den lebendigen
substantiellen Funken des Geistes, der das
menschliche Bewußtsein ins Ewige zu tra‐
gen und darin zu erhalten vermag, ‒ be‐
darf es anderer Kräfte, die aber, ebenso
wie der Verstand, geübt und geschult
werden müssen, wenn sie noch in der
89 Hortus Conclusus
Zeit in der sie hier irdisch eingesetzt wer‐
den können, das ihnen Mögliche leisten
sollen.
90 Hortus Conclusus
VON
ASIATISCHEM RELIGIONSGUT
Meine Kenntnis asiatischen Religionsgu‐
tes stammt wahrhaftig nicht aus Büchern.
Bücher konnten mir immer nur gehirnliche
Wiederbegegnungen mit dem lang schon
geistig Bekannten bringen. Ich weiß aber
von der Neigung vereinzelter Europäer, die
ihr Wissen aus Büchern haben, alte östliche
Religionsurkunden und Gebetbücher ge‐
radezu als psychologische Offenbarungen
zu begrüßen, und sie als Eideshelfer
für eigene Hypothesen heranzuziehen. ‒
Allein ich weiß auch, wieviel Überschätzung
solcher Wertung zu Gewicht verhilft, und
daß es sich dazu noch zumeist um „Ver‐
zeichnungen” irrig oder halbverstandener
religiöser Spekulationen und Imaginatio‐
nen einer kaum noch prüfbaren Vorzeit
handelt, denen man solche Verehrung ent‐
gegenbringt. Es ist auch nicht einzusehen,
weshalb es mehr Weisheit verraten soll,
wenn in einem asiatischen mystischen Text
93 Hortus Conclusus
das Gleiche gesagt wird, was innerhalb des
europäischen Kulturkreises Eckhart, Tau‐
ler und der Frankfurter Deutschordensherr
formulierten, oder was Angelus Silesius
zum Beispiel meinte mit dem bekannten
Vers:
.„Der Himmel ist in dir ‒ und auch der
Hölle Qual: ‒ was du erkiest und willst, ‒
das hast du allzumal!”...
.Gewiß aber ist nicht zu bezweifeln, daß
die gleiche Wahrheit sich mitunter von
ganz neuen Aspekten her offenbart, wenn
plötzlich die Ausprägung vor Augen liegt,
die sie in einem weit entfernten fremden
Kulturkreis gefunden hat. Hierin ist denn
auch die praktische Bedeutung der den Eu‐
ropäern zugänglich werdenden Texte aus
innerasiatischen Religionswelten in erster
Linie beschlossen. Nicht die bereits lange
schon ihrer Tendenz nach bekannt gewor‐
denen Dogmen östlicher Religions-Systeme
94 Hortus Conclusus
stellen den Hauptwert dar, den Überset‐
zung vermitteln kann, sondern die Formen
andersartiger Ausprägung mancher, auch
europäischer alten religiösen Kultur durch‐
aus nicht versagt gewesenen Erkenntnisse
an sich ganz undogmatischer Art. Die aber
können zu recht bedeutsamen Anregungen
führen, und dem jeweils neu erschlossenen
alten östlichen Religionsgut wahrhaftig Ge‐
wicht verleihen.
.Während aber nun in den auf dem Boden
Indiens erwachsenen oder aber von Indien
her überstrahlten Religions-Systemen Asi‐
ens die Innewerdung des Ewigen durch
eine Art seelischen inneren Schauspiels er‐
strebt wird, bei dem der Mensch Schau‐
spieler und Zuschauer zugleich ist, indem
er seine Gottheiten in sich selber darstellt
und sie dabei seiner Natur nach mit allem
Gewicht der eigenen Selbstgewißheit als
lebendig und in Beziehung zu sich emp‐
95 Hortus Conclusus
findet, ‒ wenn nicht sogar völlige subjek
tive Identifikation erreicht wird, ‒ (man
denke z.B. an Râmakrishna!) verfolgte der
europäische Mensch schon von den Zeiten
der Antike her eine genau entgegenge
setzte, naturhaft in seiner Art gründende
Weise religiösen Strebens, indem er im
Göttlichen sich selbst: ‒ den „Men‐
schen” ‒ zu erleben suchte. Sehr bemer‐
kenswert ist, daß auch der uns so „orien‐
talisch” anmutende Islam hierhergehört.
Das Christentum aber vor allem, ist in all
seinen Formen ‒ wo es konsequent erlebt
wird ‒ solches religiöse Erleben des in der
Gottheit durch Gottheit verhüllten primor‐
dialen „Menschen”! Wahrlich: ‒ ein „An‐
thropomorphismus”, wie ihn Fleisch und
Blut aus sich allein dem Erdentierverhaf‐
teten nicht nahelegen konnten!
.Man kann nun auf asiatische wie auf
europäische Art in das Erlebnis des Ewigen
96 Hortus Conclusus
gelangen, aber in beiden Arten bleibt die‐
ses höchste Erleben, das dem Erdenmen‐
schen während seiner Leibeslebensdauer
möglich ist, nur denen vorbehalten, die
sich durch die dornenreiche Wildrosen‐
überwucherung jahrhundertelang weiter‐
gezüchteter Dogmatik durchzuschlagen
wissen, bis sie zum innersten Wahrheits‐
inhalt: ‒ zu der klaren Erkenntnis dessen
gelangen, was die Dogmengestalter eigent‐
lich schützen wollten, aber, in bester Ab‐
sicht, gerade damit der gänzlichen Über‐
wachsung preisgaben. Wohl wird sich je‐
doch ‒ von einzelnen, recht verschieden‐
wertigen Ausnahmen abgesehen ‒ der
Asiate am besten in nüchterner Wahrneh‐
mung seiner Besonderheit an die asiati
sche, der Europäer aber an die europäi
sche Weise halten, wo immer ein Erden‐
mensch zu wirklichem Ewigkeitserleben
gelangen will, denn diese beiden, so grund‐
97 Hortus Conclusus
verschiedenen Weisen sind psychophysisch
begründet und stellen keineswegs etwa der
Willkür entstammende „Methoden” dar.
Es ist weder eine Zusammenfügung beider
Einstellungen möglich, noch kann von einer
in die andere hinübergewechselt werden,
wenn das beiden zuletzt gemeinsame Ziel
wirklich erreicht werden soll.
.Gewiß wird niemand auch nur einen
Augenblick im Unklaren darüber sein, daß
durch mich die europäische Weise, zum
Ewigkeitserlebnis zu kommen, gelehrt
wird. Allerdings bereichert durch alles,
was sich an östlichem Erfahrungsgut euro
päischer Weise „amalgamieren” läßt. Das
ist natürlich kein „Widerspruch” zu der
eben aufgezeigten Unmöglichkeit, beide
Einstellungsweisen zu verbinden oder bald
die eine, bald die andere zu pflegen, und
es wäre ebenso möglich, eine Lehre der
asiatischen Weise durch Bereicherung mit
98 Hortus Conclusus
europäischem Erfahrungsgut fruchtbrin‐
gender zu gestalten. Wenn man aber auch
als Europäer die Erfahrung macht, daß in
den asiatischen Texten zuweilen „das
Echte recht dünn gesät” und tief „ver‐
steckt” ist, während „überall Negatives
unfaßbar starr an der Oberfläche liegt”, so
darf man dennoch aus solcher Erfahrung
heraus keinesfalls auf die Werte schließen,
die einem Europäer unzugänglich blei‐
ben. Auch einem Asiaten, der den heuti‐
gen Spuren wirklichen Ewigkeitserlebens
in Europa nachgehen wollte, würde es mit
europäischem Religionsgut kaum anders
ergehen...
.Was jedoch vielfach als „dämonisch”
empfunden wird, ist der in allem Reli‐
gionsgut Asiens zutagekommende landes‐
entstammte und blutbedingte praktische
Okkultismus, der aber für den Menschen
des Ostens eher einen Bezirk der Physik
99 Hortus Conclusus
darstellt und von den damit Vertrauten
nicht in unserem Sinne als „unheimlich”
empfunden wird. Soweit diese okkultisti‐
sche Praxis sich noch auf religionsbestimm‐
ten Bahnen bewegt, wird sie auch durch
die Religion noch gezügelt, und wird dann
selbst von geistig hoch darüber Erhabenen
für harmlos angesehen. Erst wo der Okkul‐
tismus selbst in Asien zur „Religion” wird,
darf er in bedrohlichem Sinn „dämonisch”
genannt werden! ‒
.Man sollte den religiösen Texten des
Orients unbefangener gegenübertreten
und resoluter die Spreu vom Weizen son‐
dern, um so mehr, als ja doch das Beste,
Kostbarste und Geheimnisreichste, was
Asien verwahrt, niemals Gegenstand von
Aufzeichnungen wurde, und die wenigen
Handschriften aus denen es zu erschließen
wäre, ganz gewiß keinem Nichtasiaten je‐
mals in die Hände fallen.
100 Hortus Conclusus
VOM MYSTERIUM
DES MORGENLANDES
Wo Licht eine Dunkelheit erleuchtet, dort
wird man in der Umgebung des Lichtes
auch Wärme gewahren. Aber nur in des
Lichtes räumlicher Nähe, und nicht etwa
überall dort, wohin seine Strahlen Erhel
lung bringen!
.So ist es auch Folge des auf dieser Erde an
eine bestimmte Stelle fixierten geistig-sub‐
stantiellen „Tempels der Ewigkeit” und
des an dieser, seiner Stätte seit Jahrtausen‐
den vollzogenen geistig-seelischen Ge‐
schehens, daß von solcher Lichtquelle her
eine ganz unbeabsichtigte aber aus der
Natur der Dinge auch unvermeidbare In‐
fluenz geistiger Art auf die geographischen
Umkreise ausstrahlte und ununterbrochen
weiter ausstrahlen muß. Da nun die er‐
wähnte Stätte inmitten der höchsten Berge
der Erde liegt und diese Berge tekto‐
nisch den sehr weiträumigen „geogra‐
phischen Mittelpunkt” Asiens bilden, so
103 Hortus Conclusus
ist es gewiß nicht verwunderlich, wenn aus
dem erdenkörperlich unzugänglichen Ort
der allerintensivsten geistigen Gescheh‐
nisse im Lebensbereich dieses Planeten
her, die Schwingungen in der kompak‐
ten Konsistenz geistiger Substanz die all‐
dorten erregt werden, sich noch über
beträchtliche räumliche Kreise jenes
Erdteiles hin fortpflanzen, bis sie allmäh‐
lich zum Ausschwingen kommen.
.Diesen mächtigen und relativ weithin
wirkenden geistig substantiellen Ausstrah‐
lungskreisen danken die Völker Inner-,
Ost- und Südasiens ihre Neigung zu seeli‐
scher Bereitschaft, Übersinnliches in das
seelische Bewußtsein aufzunehmen, und so
manche Wirklichkeits-Erahnung, die man
anderwärts vergeblich suchen würde. Man
darf jedoch aus dieser Tatsache gewiß nicht
folgern, daß darum jeder Asiate der das
Abendland bereist, ohne weiteres religiö‐
104 Hortus Conclusus
sen Geheimnissen aufgeschlossen gegen‐
überstehe oder gar im Besitz hoher gei‐
stiger Erkenntnisse sei! In allen Gegen‐
den Asiens gibt es, ebenso wie in Europa
und den anderen Weltteilen, verquälte
Skeptiker, frivole Spötter, laue Halbgläu‐
bige, und vor allem ‒ ein Heer von An‐
hängern irgend eines Aberglaubens, wobei
es nichteinmal der Wahrheit entspricht, zu
sagen, daß nur in Asien der Aberglaube
gleich dem Bambus in den Dschungeln
wuchere. Es gibt aber, wie überall in der
Welt, so auch in Asien tief innerliche Na‐
turen, die bei alledem ihr Genüge nicht
finden können, wohl aber den Drang in
sich fühlen, die Isolation in sich zu besei‐
tigen, die sie von der bewußten Wahrneh‐
mung ihrer eigenen Daseins- und Lebens‐
ursache scheidet. Daß Jahrtausende hin‐
durch so geartete Menschen die substan‐
tiellen geistigen Schwingungen zu empfan‐
105 Hortus Conclusus
gen vermochten, die von einem ihnen
räumlich relativ nahen Punkte der Erd‐
oberfläche her ausstrahlten als Begleiter‐
scheinung der von da über alle Welt hin
ausgesandten geistigen Erleuchtungs- und
Hilfebotschaften, wurde Ursache der Ent‐
stehung jener alles Geistige, ‒ aber auch
unzählige pseudogeistige Erscheinungen ‒
bejahenden Atmosphäre, die dem gleich‐
falls das Bleibende in aller Erscheinung
Wandel suchenden Nichtasiaten so geheim‐
nisvoll und unfaßbar erscheint.
In unseren Tagen hat diese Atmosphäre, ‒
die ehedem auch den ihr von Hause aus
fernstehenden Islam in ihre Bereiche zu
ziehen vermochte, sowie er in ihre geistig
gegebene, geographisch bestimmbare Zone
kam, ‒ sehr viel von ihrer lichtenden
Wärmekraft verloren. Nicht, weil die Strah‐
lungen geringer geworden wären, sondern
106 Hortus Conclusus
weil außerasiatische Einflüsse ihre zer‐
setzende Wirkung selbst bis in die Kreise
der hochbegabtesten asiatischen Religiösen
hineintragen und somit die Zahl derer ver‐
mindern, die jene unerschütterbare Ruhe
in sich zu bewahren wissen, die Vorbe‐
dingung des Empfindens der substantiellen
geistigen Ausstrahlungen aus dem Ort des
geistigen Tempels der Ewigkeit auf Er‐
den ist. Nach wie vor aber ist das Auftau‐
chen so vieler, der geistigen Wirklichkeit
entsprechenden Vorstellungen, die man
vergeblich in anderen Erdteilen suchen
würde, auf die räumliche Nähe unerhörten
Offenbarens ewiger Geistesgewalt zurück‐
zuführen, deren Influenzen in den Seelen
der Befähigten sich auswirken. Es verdirbt
im Grunde nur wenig, daß diese Auswir‐
kungen zumeist in Seelengärten bunt
blühenden Aberglaubens stattfinden, denn
der Aberglaube wird so noch zu einem
107 Hortus Conclusus
positiven Träger einer irdischen Bildge‐
staltung der ewigen Wirklichkeit.
.Sehr im Irrtum aber wäre jeder Nicht‐
asiate, der sich einfallen lassen wollte, er
brauche bloß die nächste Schiffsgelegenheit
zu benutzen und dann von einem indischen
Hafenplatz aus nach Simla oder Darjeeling
hinaufzufahren um dort die geschilderten
Ausstrahlungen in reichlicher Fülle zu emp‐
fangen! Ganz abgesehen davon, daß er auch
auf Ceylon, auf den Inseln des malayischen
Archipels, in China und Japan, diesen Aus‐
strahlungen noch keineswegs entrückt
wäre, könnte er sich an allen diesen Orten
zwar in die schönste Selbstsuggestion ver‐
setzen ohne es auch nur zu ahnen, aber nie‐
mals könnte ihm empfindungsnahe kom‐
men, was selbst der durch unzählige Gene‐
rationen im eigenen Blute dafür vorberei‐
tete Asiate erst empfinden lernen muß in
einer über alle westlichen Begriffe harten,
108 Hortus Conclusus
und viele Jahre währenden, erbarmungslos
alle Selbsttäuschung ausrottenden Lehr‐
zeit. ‒ Auch die wenigsten Orientalen
haben sie wirklich durchgemacht!
.So billig, wie sich der Nichtasiate die
Erlangung des Aufschlusses verborgener
Empfindungsorgane vorstellt, nachdem er
kaum von der Möglichkeit solcher Selbst‐
entwicklung hörte, ist sie wahrhaftig nicht.
Nur, wer keinerlei Zugang zu der Art der
hier nötigen Vorbereitung hat, kann auf
den Gedanken kommen, eine Wahrneh‐
mungsfähigkeit für deren Erlangung un‐
zählige Leben im Orient gelebt werden, ‒
für die jede Mühsal ertragen und jede der
zuweilen auferlegten Selbstpeinigungen
ohne Bedingungen und Vorbehalte stolz
und tapfer erduldet wird, ‒ lasse sich auch
für den Unvorbereiteten, durch eine
stimmungsmäßige Aufnahmebereitschaft,
fast mühelos erreichen. ‒ Von dem maß‐
109 Hortus Conclusus
losen Hochmut der ernstlich annimmt, der
Orientale mache sich diese Dinge ganz un‐
nötig schwer, weil er ja nichts ahne von den
Erkenntnissen westlicher moderner Psy‐
chologie, sei hier weiter nicht die Rede.
.Solcher ahnungslose Dünkel steht noch
tief unter jenem Vulgärokkultismus, der
den Seinen unverfroren einzureden sucht,
sie vermöchten alles das, was der orien‐
talische Religiöse erringt und wofür er
den Einsatz seines Lebens wagt, durch
eine tagtäglich wiederholte Reihe aller
Wirklichkeit widersprechender glaubens‐
betonter Behauptungen aus der Tiefe des
Gemüts heraus zu erlangen.
.Wahrhaftig: ‒ es hält sehr schwer, ein
Mensch aus den ältesten Kulturbereichen
der Welt zu sein, und dennoch den phan‐
tastischen, nach jeder Seite dehnbaren
Aberglauben westlicher Zivilisation nicht
zu belächeln!
110 Hortus Conclusus
ÜBER DIE RELIGIONSFORMEN
Der Mensch auf Erden ist Vorbedingnis
für das Werden und Bestehen der irdischen
Religionen, aber diese sind keineswegs Be‐
dingnis der irdischen Existenz des Men‐
schen! Dieser Satz ist nicht nur Folgerung
aus dem bekannten Evangelienworte vom
jüdischen Sabbat, sondern auch, ganz un‐
abhängig davon, eine von keinem Vernünf‐
tigen zu bezweifelnde Selbstverständlich‐
keit. Und doch gibt es religiöse Eiferer in
Menge, die aller Logik zuwider, diesen so
selbstverständlichen Satz am liebsten um‐
kehren möchten. In allen Religionen sind
sie zu finden, wenn auch kaum irgendwo
so zahlreich wie gerade in den Religions‐
bezirken, die sich auf die Lehre des Er‐
habenen berufen, der so eindeutig den Sab‐
bat und damit alle religiöse Konvention
und Satzung als eine rein menschliche An‐
gelegenheit: „um des Menschen willen”,
‒ bezeichnete. Überall aber, wo die An‐
113 Hortus Conclusus
hänger einer Religionsform die unumstöß‐
liche Wahrheit dieses Satzes vergessen, er‐
hebt sich drohend für diese jeweilige Reli‐
gionsform die Gefahr, das, was „Religion”
in ihr ist, zu verlieren, und zur bloßen
Form zu erstarren, die dann kein anderes
Bestreben mehr kennt, als sich um ihrer
selbst willen, zum Vorteil ihrer Diener,
aber auf Kosten von deren Anhängerschaft,
in sterilem Dasein zu erhalten. Statt ein
Bewahrnis der Religion zum Besten des
Menschen und im Dienste des Menschen
zu sein, leert sich die Form, und ihre Leere
saugt wie ein Vakuum den Menschen, der
ihr Herr durch den von ihm geschaffenen
Inhalt sein sollte, erbarmungslos in sich
hinein. ‒ Man braucht auf Erden wahr‐
haftig nicht zu suchen, wo sich solches be‐
gibt, denn es begibt sich allerorten in die‐
ser Zeit!
.Jede Religionsform aber, die nicht zur
114 Hortus Conclusus
leeren Form werden will, muß achten, daß
sie nicht „tolerant” wird, denn sie besteht
nur durch ihre Intoleranz, indem sie alle
andere Religionsform ausschließt. Und
jede Religionsform wird von ihren An‐
hängern für die „allein seligmachende”
gehalten, auch wenn in ihrem Bekenntnis
von dieser Überzeugung nicht ausdrück‐
lich gesprochen wird. Der Anspruch ergibt
sich von selbst, da jeder ehrliche Anhänger
einer Religionsform sein zeitliches Tun
und Lassen gerechtfertigt, und sein ewiges
Heil begründet sehen will, so daß er gewiß
keiner Religionsform den Vorzug gibt, von
der er nicht fest überzeugt ist, daß sie vor
allen anderen den Vorzug verdient, weil
sie allein ihm Führerin zur Seligkeit zu
sein scheint. Je toleranter eine Religions‐
form sich geben will, desto weniger ist sie
imstande, Religion zu verwahren, ‒ desto
mehr in Gefahr, leere Form zu werden,
115 Hortus Conclusus
auch wenn sie, ihrem Namen nach, weiter‐
hin noch als „Religion” erscheint.
.Es ist jedoch die zu ihrem Bestand nötige
Intoleranz jeder Religionsform nur inner
halb ihres eigenen Bereiches ein Gutes! ‒
Jeder Hausvater erfüllt nach Fug und Recht
seine Pflicht, wenn er intolerant gegen alles
ist, was den Bestand des ihm anvertrauten
Hauswesens gefährden könnte. Nicht an‐
ders sind die für das Bestehenbleibenkön‐
nen einer Religionsform Verantwortlichen
vor sich selber berechtigt und verpflichtet,
innerhalb ihres Religionsformbereiches in‐
tolerant gegen alles zu sein, was das Be‐
stehen der ihnen anvertrauten Religions‐
form in Gefahr bringen könnte. Aber außer
halb dieses, ihrer Religionsform ureigenen
Bereiches fehlt ihnen jedes Recht und jede
Pflicht zur Intoleranz! ‒ Nur wenn die
Rechte und Pflichten Anderer in den ihnen
anvertrauten Religionsformbereichen ge‐
116 Hortus Conclusus
wissenhaft geachtet und sorglichst unan‐
getastet bleiben, sind jene allein menschen‐
würdigen gegenseitigen Beziehungen zwi‐
schen den verschiedenen, sich innerhalb
ihrer Bereiche mit berechtigter Intoleranz
ausschließenden Religionsformen möglich,
die für das lebendige Gedeihen jeder ein‐
zelnen bedingungslos erforderlich bleiben!
Jede Ausbreitung der für das eigene Be‐
stehen auf eigenem Gebiet nötigen Intole‐
ranz, über die Grenzen des eigenen Reli‐
gionsformbereiches hinaus, ist Störung an
derer Religionsformen und leistet nur der
Ignoranz und Feindschaft gegenüber allem
Religiösen Helfersdienste in dieser wahr‐
lich religionsmatt und religionsmüde ge‐
nug gewordenen, tausendfach irritierten
Zeit. Diese Zeit ist ohnedies gewohnt, Reli‐
gion mit „Religionsgeschichte” gleichzu‐
setzen, in der ja für jeden, der sie kennt,
eine Kette von Berichten über unberech
117 Hortus Conclusus
tigte Übergriffe intern berechtigter Into‐
leranz in die Religionsformbereiche anders
gläubiger Menschengruppen vorliegt, wie
sie von ärgster Religionsfeindschaft nicht
schauerlicher geschmiedet werden könnte.
.Vor allem aber ist immerdar zu beden‐
ken, daß Religion in allen ihren Formen
ausnahmslos ein erdenmenschlicher Behelf
ist, den die ewige Seele Einzelner jeweils
in Sorge um ihre Mitmenschen liebevoll
ersann, damit auch den nicht zu eigener
Findung Fähigen ein guter Weg „markiert”
sei, der sicher ins Ewige führe! Es ist töricht,
darüber zu streiten, welcher dieser Wege
weniger „Umweg” sei, denn alle sind Um‐
wege, weil sie sonst jenen Seelen zu steil
und gefahrvoll würden, um derentwillen
sie von kundigen Wegebahnern geschaffen
wurden. Ich aber bin nicht gekommen um
einen neuenUmwegzu bauen! Ich zeige
vielmehr den direkten Anstieg in das ewige
118 Hortus Conclusus
Licht, der allerdings nur Seelen ersteigbar
ist, die Kraft genug in sich auszulösen wis‐
sen, um mit Sicherheit die Abgründe über
springen zu können, die man Andere,
‒ auf dem Wege einer Religionsform, ‒
umgehen lehrt... Ich bin nicht dazu da,
irgend einer Religionsform oder vielen zu‐
gleich eine Apologie zu schreiben, obwohl
ich es wahrhaftig gesicherter als die be‐
rufsmäßigen Apologeten der Religionen
vermöchte. Ich muß die Religionsgebun‐
denen auf die Wege ihrer Religionsform
verweisen und jene Verwegenen aufzufin‐
den trachten, die eigene Pfade zum Licht
zu erklimmen suchten, sich aber bei ihrem
Suchen „verstiegen” haben. Auch denen
muß ich helfen, die ehedem auf dem gut‐
markierten Wege einer Religionsform da‐
hinschritten, bis sie aus diesem oder jenem
Grunde das Vertrauen zu ihrem gebahn‐
ten Wege verloren und sich quer durch die
119 Hortus Conclusus
Wildnis der Skepsis einen anderen Pfad zu
treten suchten, ohne voranzukommen. Den
zufrieden und ihrer Sache gewiß auf den
zeichengesicherten Wegen der Religions‐
formen Wandelnden aber werde ich gewiß
nicht „im Wege” stehen, auch wenn ich
ihren Weg zuweilen kreuze. Ich kann ihnen
nur immer wieder an den für sie unver‐
ständlichen aber nötigen Wegkehren sagen,
in welcher Richtung ihres Weges Endziel
liegt, und bringe ihnen geistige Kraft, aus
der sie ihre schwachen seelischen Kräfte
wirksam nähren können, damit sie wenig‐
stens ausdauern auf der betretenen Straße,
bis ihre Seelen endgültig aus ihrem Irdi‐
schen losgelöst werden.
Es liegt mir so fern, „eine neue Reli‐
gion” zu begründen, wie es mir fern‐
liegt, den bestehenden Religionsformen
andere Dienste zu widmen, als die ihnen
nach Maßgabe ihres Schatzes an zeitüber‐
120 Hortus Conclusus
dauernden Werten vom ewigen Geiste her
zubestimmte Hilfe, die, ‒ wo sie von‐
nöten ist, ‒ weder Bitte verlangt, noch
Dank erwartet, und keinem irdischen Wil‐
len erwirkbar wäre.
121 Hortus Conclusus
ÜBER ZUSTIMMUNG UND GLAUBE
Jede zu klarer Selbstdarstellung gelangte
Religionsform verlangt von ihren Anhän‐
gern mit allem Recht die aufrichtige Zu
stimmung zu den in ihrer Selbstdarstel‐
lung ausgesprochenen Lehren, zu bestimm‐
ten Worten ihres Stifters oder ihrer Stifter,
und zu ihrer Auffassung gewisser, von ihr
als gesichert angenommener „historischer”
Geschehnisse. Das gilt von den alten asia‐
tischen bodenständigen Religionen nicht
minder, wie vom Buddhismus in allen sei‐
nen Gestaltungsformen, vom Monotheis‐
mus des Pentateuch, dem Christentum in
seinen verschiedenen Ausdrucksarten, und
dem als jüngste der großen Religionsformen
entstandenen Islam. Die Zustimmung zu
der jeweiligen Formulierung des Vorstel‐
lungsinhaltes, der den Eigenbestand einer
Religionsform ergibt, wird als „Bekennt‐
nis” zu dieser Religionsform bezeichnet,
und da diese Zustimmung auf dem gefühls‐
125 Hortus Conclusus
mäßigen Fürwahrhalten der dargebotenen
Vorstellungsinhalte beruht, das als „Glau‐
be” empfunden wird, so spricht man von
verschiedenen „Glaubensbekenntnissen”.
Die innere Zustimmung: ‒ die selbstge‐
setzte Annahme, es sei alles genau so, wie
es in der Folge von Vorstellungen zum
Ausdruck kommt, die eine Religionsform
als ihr „anvertrautes” eigenes Religionsgut
für sich in Anspruch nimmt, ist stets der
entscheidende Faktor für die Anerkennung
der Zugehörigkeit eines Menschen zu einer
bestimmten Religionsform, was dadurch
nicht anders wird, daß sich die Religions‐
form selbst als „Glaube” bezeichnet.
.In dem an sich gewiß berechtigten Be‐
streben, in den eigenen Bereichen auch nur
das eigene religiöse Vorstellungsgut gelten
zu lassen und alles ihm Fremde oder gar
Widersprechende sorglichst auszuschlie‐
ßen, kam man nun aber im Verlaufe der
126 Hortus Conclusus
Jahrhunderte und Jahrtausende fast überall
zu einer so bedenklichen Überwertung der
„Bekenntnisse”, daß die Formulierung des
Religionsgutes, für die jeweilen Zustim‐
mung verlangt wird, allmählich allenthal‐
ben mehr Bedeutung erlangte, als das Re‐
ligionsgut selbst, ja ‒ daß die Zustimmung:
‒ das Fürwahrhalten ‒ zu fast unlösbaren
Fesselungen des inneren Lebens der ein‐
zelnen Religionsformen auswucherte. Der
„Glaube” als bloßes, gehirnlich umschlung‐
genes, gefühlsmäßiges „Fürwahrhalten”
hat in fast allen Religionen den lebendigen
Glauben, der die höchste Kraft der ewigen
Seele ist, auf weite Strecken hin erstickt,
so daß die vermeintlichen „Gläubigen”
kaum noch von ihm wissen, und man in
Gefahr gerät, gänzlicher Verständnislosig‐
keit zu begegnen, wenn man zu den in ei‐
ner Religionsform Verbundenen von ihm
spricht. Aber das ist nicht notwendiges
127 Hortus Conclusus
„Schicksal”, sondern Folge bequemer Her‐
zensträgheit, die überwunden werden kann,
und überwunden werden muß, wenn die
verschiedenen Religionsformen, die der Er‐
denmensch im Laufe der Jahrhunderte und
Jahrtausende „um des Menschen willen”
geschaffen hat, ‒ damit jede Seele dort
sich finde, wo ihr gemäße Symbole den
Weg zum inneren Lichte bezeichnen, ‒
nicht zu leblosen starren Versteinerungen
werden sollen.
.Solche Erstarrung aber kann wirksam
nur jener tiefe „lebendige” Glaube der
Seele verhüten, der in Herzensinbrunst
nach der Selbstoffenbarung seines eigenen
Lebensgrundes in sich drängt, ‒ einerlei
in welcher Religionsform das geschieht und
wie die Vorstellungsinhalte gestaltet sein
mögen für die von der Seele Zustimmung
verlangt wird. Dieser Glaube ist kein Für‐
wahrhalten irgend eines historischen Be‐
128 Hortus Conclusus
gebnisses oder wundersamen Geschehens,
kein Fürwahrhalten irgendwelcher
überlieferten Lehrworte und Meinungen,
‒ aber ebensowenig steht er zu allediesem,
wie es ihm von seiner Religionsform dar‐
geboten wird, in Widerspruch. Er hat nur
erkannt, daß die ihm zur Zustimmung vor‐
gestellten, bedingt oder unbedingt als
„historisch” angenommenen Geschehnisse
ebensowohl wie die berichteten Lehrworte
für seine Religionsform unumgänglich
nötig sind zur Schaffung der Formen- und
Farbenkombinationen, die der Seele den
Weg in ihr inneres Licht, und zwar einen
für jede der betreffenden Religionsform
zugetane Seele leicht begehbaren Weg, ‒
aufs deutlichste „bezeichnen” sollen. Mit
aller Inbrunst drängt er danach, auf diesem
ihm gewiesenen Wege seinen eigenen Le
bensgrund in sich zu erfassen. Er glaubt
innerstem unwiderlegbaren Erfühlen, daß
129 Hortus Conclusus
er diesem, seinem Lebensgrund dereinst
am Ziele des Weges „von Angesicht zu An‐
gesicht” gegenübertreten wird, aber er
fühlt sich auch schon auf dem Wege dort‐
hin befähigt, das ihn Belebende lebendig
in sich zu erfassen, ‒ frei von aller Zweifel‐
bedrängung. ‒ Erfüllt von solchem inner‐
sten lebendigen Glauben besitzt sich die
Seele in ihrem Mittelpunkt und ist außer
aller Gefahr, fortan sich mit einem gehirn‐
lichen „Fürwahrhalten” des Vorstellun‐
genschatzes ihrer irdischen Religionsform
begnügen zu können.
.Möge der aus sich selbst lebendige in
nere Glaube wieder in jeder Religionsform
der Menschheit von den ihr zugeeinigten
Seelen gesucht und gefunden werden, und
damit jeder religiöse Vorstellungsbereich
von innen heraus sich als in seiner For‐
mung gerechtfertigt erweisen! Es wäre
jedoch eine unverzeihliche Torheit, wenn
130 Hortus Conclusus
man annehmen wollte, daß ich einer oder
der anderen Religionsform meine Sympa‐
thien darböte, wieder andere aber zu miß‐
achten vermöge. Ich weiß vielmehr, wo
das Eine in allen sich finden läßt, das
allein „not tut”, und suche erkennen zu
lehren, wie es praktisch in jeglicher Reli‐
gionsform erlangbar ist, auch wenn jede
aus sich heraus genötigt bleibt, seine Er‐
langung jeder anderen Religionsform ab‐
zusprechen, weil sie sonst ihre eigene Da‐
seinsberechtigung nur wirklich „Wissen‐
den” noch zu beweisen wüßte. Es ist auch
durchaus nicht nötig, den Anspruch auf all‐
gemeine Weltgeltung, den eine Religions‐
form vor anderen vorauszubesitzen glaubt,
mit harten Mitteln zu bekämpfen! ‒ Ganz
von selbst wird dieser töricht vergebliche
irrige Anspruch immer wieder in seine
Grenzen zurückverwiesen werden, zu
jeder, ihn noch antreffenden Zeit.
131 Hortus Conclusus
VON IRRTÜMLICHEN
GOTTESBILDERN
Auf welcher Höhe auch der Mensch sich
selber denken will, ‒ stets wird er sich
wider Willen Bild und Gleichnis, und nicht
anders denkt er Anderes in sich selber zu
Bild und Gleichnis um. Selbst der Moslim
kommt ‒ in seinen Vorstellungsberei
chen ‒ nicht ohne Bild und Gleichnis aus,
wenn auch der Islam, nach strenger, frei‐
lich auch fraglicher Auffassung verstanden,
die äußere Darstellung des Menschenbildes
verbietet, ‒ was glücklicherweise nicht ver‐
hindert hat, daß voreinst in persischen
und indischen moslemitischen Kulturbe‐
reichen die herrlichsten Kleinmalereien
entstanden sind, die den Menschen voll
Glut und sprühender Lebendigkeit wieder‐
zugeben wußten, ohne bei den dortigen
damaligen Gläubigen Anstoß zu erregen. In
anderen Religionsformen, die im sichtbar‐
lich dargestellten Bilde des Menschen
nicht die Gefahr magischer Überwältigung
135 Hortus Conclusus
fürchten zu müssen glaubten, ist ja, wie
jeder Unterrichtete weiß, die Darstellung
des Menschenbildes bis zu den höchsten
Möglichkeiten der Kunst emporgesteigert
worden, weil die Darstellung hier ‒ „Pre‐
digt” sein wollte und stärkste Eindringlich‐
keit erstrebte, der zur Überredung durch
das Auge immer willigen Seele gegenüber.
Aber auch für seine Wiedergabe in der
Sprache konnte das Vorstellungsgut der
Religionsformen Bild und Gleichnis un‐
möglich entbehren. In Bild- und Gleichnis‐
form ging es in die Seele des Hörenden
über, um sein eigen zu werden. Solches
Vor-stellen eines transparenten, plasti‐
schen Bildes vor die seinem Denken anders
unfaßbare geistige Wirklichkeit, kann frei‐
lich auf den höchsten Höhen der Seele
auch zu sublimster Einfühlung und Gottes‐
kenntnis im Lichte ewiger Liebe führen,
aber weit näher liegt es dem Erdenmen‐
136 Hortus Conclusus
schen, das von ihm geschaffene, sich selber
vorgestellte Bild immer kompakter zu ge‐
stalten, wobei er es dann allerdings auch
immer mehr irdischen Vorbildern nach‐
zubilden sucht.
.Wenn es sich, wo immer, um die Vor‐
stellung Gottes handelte, als der Urselbst‐
gestaltung, der alles Gestaltete Leben und
Dasein dankt, dann fand sich tragischer‐
weise der Erdenmensch zu allen Zeiten ge‐
drängt, seine Vorbilder unter Seinesglei
chen zu suchen, soweit ihm Seinesgleichen
an irdischer Macht überlegen waren. So
ist „Gott” im Vorstellungsbilde des Erden‐
menschen zum „König” eines ewigen Rei‐
ches geworden, und die Seele, die doch in
Wahrheit das ewige Wirkliche erfahren will,
bleibt in den großbauschigen Mantelfalten
einer plastisch derben Darstellung erden‐
menschlichen Machtwillens gefangen. ‒ Es
ist schlechterdings unmöglich, ein Vorstel‐
137 Hortus Conclusus
lungsbild zu ersinnen, das noch weniger
Entsprechungen zu der Wirklichkeit Got‐
tes aufzuweisen hätte! Aber nach solcher
irdischen Grundform sind die Gottesvor‐
stellungsbilder der größten Religionen ge‐
staltet, die der Erdenmensch sich zu geben
wußte...
.Wenn auch Millionen diese Vorstellungs‐
bilder mit aller seelischen Liebeskraft zu
verehren trachten, während andere Millio‐
nen nur die Furcht vor des derart vorge‐
stellten Gottes angeglaubter Macht zu sei‐
nem Dienste zwingt, so darf man sich doch
auch nicht wundern, wenn man die Zahl
Derer immer mehr im Wachsen findet, die
ihre dumpfe Furcht schließlich zu über‐
winden wußten oder ihre glühende Liebe
eines Tages in bitterer Erkenntnis verlö‐
schen sahen, und nun alle Gottesvorstel‐
lung für trügliches Menschenwerk halten,
weil sie die ihre als solches erkannten. Nie‐
138 Hortus Conclusus
mand steht sich selbst so sehr im Wege wie
der Enttäuschte: ‒ der eine Täuschung
Losgewordene! ‒ In seinem Grimm dar‐
über, daß er sich täuschen konnte, über‐
sieht er, daß nur sein Vorstellungsbild in
ihm die Täuschung bewirkte, und so wähnt
er die Wirklichkeit als unwirklich über‐
wiesen, während lediglich ein Bild dieser
Wirklichkeit zusammenstürzte.
.Unnütz ist es, den Enttäuschten des „Un‐
glaubens” anzuklagen, aber nötig ist, ihm
zu zeigen, wie er des Wirklichen, dem er
von außen her durch sein nun für ihn
zertrümmertes Vorstellungsbild hindurch
vergeblich zu nahen suchte, innewerden
könne in sich selbst! ‒ Um diese Weise:
‒ das Wirkliche in sich selber als des
eigenen Daseins Urgrund erfahren zu
dürfen, ‒ lehrend aufzuzeigen, wird man
gewiß der Vorstellungsbilder auch nicht
entraten können. Doch diese Vorstellungs‐
139 Hortus Conclusus
bilder werden sorglichst jedes Vorbild aus
dem Irdischen her meiden, das nicht in
hellster Transparenz zu durchschauen
wäre. Und alles, was sich in bildhaften
Worten sagen läßt, wird nur dazu dienen
wollen, in dem Belehrten die Vorstellung
von der Struktur des ewigen Wirklichen
zu erwecken, in dem und aus dem er
selber lebt. Gott ist so Vieles und so Viel
seitiges wie Verschiedenes zu gleicher
Zeit und gleicher Ewigkeit, daß es nie‐
mals möglich wäre zu sagen, was Gott ist,
wenn es nicht möglich wäre, die Struk‐
tur des geistigen Lebens, dessen Selbstbe‐
wußtsein Gott ist, in großen Linien auf‐
zuzeichnen. Die Seins-Aspekte Gottes, die
ich in solcher Weise aufgezeichnet habe,
von der geistigen Zahlwertauswirkung Eins
ausgehend, die dem Menschen nur „zwi‐
schenliegend” denkbaren verschiedenen
Wertauswirkungen bis zur Zahl Zwölf um‐
140 Hortus Conclusus
fassend, sind ausschließlich in solchem
Sinne gemeint, und es ist dabei an keiner
Stelle an ein Nebeneinander oder Überein‐
ander, wie es im Irdischen allein möglich
wäre, zu denken, sondern zu versuchen,
ein lückenloses gleich ewiges Ineinander
zu erfühlen, denn „vorstellen” läßt sich
dieses sich gegenseitig erfüllende Selbst‐
sein in der Struktur des ewigen Geistes
nicht, und es ist auch nicht meine Absicht
eine „Vorstellung” zu vermitteln, wo ich
die Wirklichkeit selbst dem Einfühlungs‐
vermögen meiner Mitmenschen empfin‐
dungsnahe bringen kann. Wie nahe ihnen
die ewige Wirklichkeit in meinen Worten
herbei gekommen ist, werden Einzelne
ahnen, ‒ Andere auch erwachend erfah
ren, solange diese Worte Menschen erlang‐
bar bleiben.
141 Hortus Conclusus
VOM SINN ALLER BELEHRUNG
In allen seinen unendlichfältigen Selbst‐
darstellungen innerhalb der Struktur des
Lebens im ewigen Geiste, ist „Gott” sich
selbst in jeglicher selbstgewollten Eigen‐
form ewige absolute Selbstempfindung.
.So ist auch das wirkliche Endziel für
alles zeitliche Wollen und Tun, Daseinwol‐
len und Gestaltbegehren des irdischen
Menschen: ‒ Selbstbestätigung seiner
gottbedingten ewigen Seelenkräfte in ei‐
gener Selbstempfindung, denn nur in sol‐
cher Selbstempfindung kann die Seele
wieder in Gott eingehen und Gottes „inne”
werden. Nur aus Selbstbestätigung durch
Selbstempfinden in der Selbstempfindung
Gottes ist Liebesvereinigung mit Gott in
Gott möglich. Vorher steht die Seele nur
in Liebes-„Bereitschaft”, und ihre ver‐
meintliche „Liebe” zu Gott ist Liebes‐
Verlangen”, indem sie ihre Liebeskraft
einem „Über-ihr” darbietet, an das sie
145 Hortus Conclusus
zwar zu „glauben” verhalten wird, ‒ das
sie aber keinesfalls kennt. Und nur in der
sie alle jeweils zu ewigem Vereinigtbleiben
einenden Einzelseele können die ewigen
Seelenkräfte ihr Selbstempfinden im Ewi‐
gen wiedererlangen, von dem sie ausge‐
strahlt sind, um selbstgeformt wieder in
ihren Ursprung eingesogen zu werden, ‒
kristallisiert an einen ewigen Bewußtseins‐
kern, der sie alle durchleuchtet und allen
seine ewige Eigenfarbe verleiht, die zu
ihm gehören.
.Es ist aber hier nicht die Rede von
einem nur gedachten Vorgang, sondern
von einem wirklichen Geschehen, und alle
Belehrung dient nur dazu, dieses Ge
schehen in der Seele herbeizuführen, in‐
dem alle irrigen Vorstellungen, die dem
Eintreten des Geschehens Hindernisse be‐
reiten, nach Möglichkeit hinweggeräumt
werden, um solchen Vorstellungen Raum
146 Hortus Conclusus
zu schaffen, die das Eintreten des Ge‐
schehens wirksam vorbereiten.
.So ist alles, was ich notgedrungen von
dem Einen und Unendlichfältigen sagen
mußte, was „Gott” ist, nicht dazu gegeben,
um in gedanklicher Spekulation zerdacht
zu werden, sondern um in der Seele jene
Vorstellungen wieder zu erwecken, die sie
unbewußt aus dem ewigen Ursprung der
Seelenkräfte her in sich verwahrt. Was ich
sage, erwartet keine Glaubensbereitschaft
und will ebensowenig etwa „verstanden”
werden, sondern sucht in den ewigen Kräf‐
ten der Seele die ihm entsprechenden
Erinnerungen wieder bewußt zu machen,
was um so eher gelingt, je mehr der Auf‐
nehmende seinem spekulierenden Denken
zu wehren weiß, dem meine Worte gerade
gut genug sind, um sie als Material für
seine Verstandes-Spiele zu verwerten. Es
handelt sich um eine wirkliche Verände
147 Hortus Conclusus
rung des Bewußtseinszustandes der Seele,
und nicht nur um eine andere Art zu
denken”. Nur diese sehr erhebliche Ver‐
änderung des normalerweise im Irdischen
für unveränderlich gehaltenen Bewußt‐
seinszustandes bringt der Seele die unum‐
stößliche Gewißheit, nach der sie stets
vergeblich durch Gehirnarbeit strebt. Die
ewige Wirklichkeit ist Gedankenschlüssen
unerreichbar. Sie kann nur im Bewußtsein
empfunden werden und bringt nur in der
Empfindung Bestätigung, ‒ allerdings
eine Bestätigung, die so vollkommen ist,
daß auch nicht mehr der leiseste Wunsch
nach gedanklicher Erfassung des Erlangten
bestehen bleibt.
.Um solche Empfindung möglich zu
machen, habe ich jeweils die sie tragenden
Worte gewählt. Man soll sie nicht mit
anderem mengen, was ähnlich klingt! Man
soll aber auch keinen Kult mit ihnen
148 Hortus Conclusus
treiben und nicht tüftelnd nach geheimen
Bedeutungen in ihnen suchen. Man soll
sie vielmehr in aller Einfachheit aufneh‐
men und sie in der Seele so zu empfinden
suchen, wie sie gegeben sind. Niemals
aber darf man sie zum Anlaß und Aus‐
gangspunkt für eigene gedankliche Speku‐
lationen machen! Ich lege auch keinerlei
Wert auf gedankliche „Zustimmung”, und
nichts liegt mir ferner, als durch Über‐
reden „überzeugen” zu wollen. Ich rufe
zum praktischen Erproben meiner Worte
auf. Um aber praktisch erprobt werden
zu können, müssen sie empfunden werden,
bis sie als Empfindungsgut Eigenbesitz des
Aufnehmenden sind. Meine Worte sind
vor allem: ‒ Empfindungs-Träger, Emp‐
findungs-Vermittler und Empfindungs‐
Erwecker. Was sie daneben noch dem
„Sinn” nach besagen, ist sekundärer
Natur, auch wenn es gewiß dazu mithelfen
149 Hortus Conclusus
will, der Seele die Aufnahme des ihr dar‐
gebotenen Empfindungsgutes anzuraten.
Auch dem „Sinne” nach sollen meine
Worte in erster Hinsicht als Empfindungs
erwecker aufgenommen werden!
150 Hortus Conclusus
WO ICH NUR
ÜBERBRINGER BIN
Es ist weder meine geistgegebene irdi‐
sche Aufgabe, noch meine erdenmensch‐
liche, wunschbestimmte Absicht, noch gar
mein Wille, Geschehnisse, die in Zukunft
sich ereignen können oder ereignen müs‐
sen und werden, vorauszusagen.
.Ich habe niemals, auch nur nachfühlend
und bei Anderen, den Wunsch verstanden,
voraus wissen zu wollen, was die Zukunft
bringt, und ich würde es als unerträgliche
Belastung empfinden, müßte ich Kenntnis
kommender äußerer Geschehnisse in mir
verwahren oder wäre gar gezwungen, sie
vorauszuverkünden.
.Wenn sich dennoch Stellen in meinen
Schriften finden: ‒ im „Buch vom leben
digen Gott”, im „Buch vom Menschen”,
in der sozialethischen Lehrschrift „Das
Gespenst der Freiheit”, und vor allem im
Buch der Liebe”, ‒ die auf Zukünftiges
im Bereiche der irdischen Möglichkeiten
153 Hortus Conclusus
des Menschen verweisen, so liegt da wesent‐
lich Bedeutsameres zutage, als es eine Vor‐
hersage zukünftiger äußerer irdischer Er‐
eignisse jemals darzustellen vermöchte.
.An allen solchen Stellen ‒ ohne jede
Ausnahme ‒ fand ich mich nicht durch
irgendwelches Vorauswissen bestimmter
irdischer Ereignisse zur Niederschrift des‐
sen bewogen, was ich geschrieben habe,
sondern stand in geistiger Pflicht, dem mir
aus meinem ewigen geistigen Urgrund her
Mitgegebenen in Worten meiner Sprache
Ausdruck zu schaffen.
.Mit solcher geistigen Verpflichtung ist
aber keineswegs eine irdisch-gehirnliche
Verständigung darüber verbunden, auf
welche bestimmte Daten, Personen und
äußeren Schauplätze sich der Inhalt des
geistig Gezeigten bezieht, oder durch
welche Umstände das Geschehen herbei‐
geführt wird, von dem das mir zur Ver‐
154 Hortus Conclusus
kündung Übergebene handelt. Mit anderen
Worten: ‒ ich bin an allen Stellen meiner
Schriften, an denen auf zukünftiges irdi‐
sches Geschehen hingewiesen wird, ledig‐
lich Überbringer rein geistiger, mir aufge‐
tragener Botschaft, und außerstande, Kom‐
mentare zu dem Gesagten zu geben. Möge
sich jeder Leser das von mir in Worten
Wiedergegebene jeweils selbst nach seiner
Weise deuten, wenn er dazu das Bedürfnis
fühlt! Ich bin da in keiner Weise vor ihm
bevorzugt, habe aber auch kein Recht, eine
private eigene Deutung solcher Stellen der
Öffentlichkeit darzubieten, ja auch nur den
mir im Irdischen am nächsten stehenden
Menschen dergleichen mitzuteilen.
.Wo ich als geistig Beauftragter dem Emp‐
fangenen die sprachliche Mitteilungsform
zu geben habe, dort weiß ich nur, daß, und
warum der Inhalt unumstößliche absolute
Gewißheit ist, und ich müßte ihn wieder‐
155 Hortus Conclusus
geben, wenn mir auch jegliche, mir selbst
allein nur zubestimmte Deutungsmöglich‐
keit fehlen würde. Wo ich aber aus meinem
Eigenen im ewigen Geiste nehme, was ich
zu künden vermag und zu geben habe,
dort wird man gewiß niemals gewahren,
daß ich von zukünftigen Dingen als Vor‐
aussager spreche, es sei denn, man rechne
hierzu das „jenseitige” Leben, das aller‐
dings meinen Lesern noch etwas Zukünf‐
tiges ist, ‒ mir aber stete Gegenwart neben
dem gleichzeitigen äußeren physischen Er‐
denleben.
.Ich leugne jedoch wahrhaftig nicht, daß
aus meinem Eigenen im ewigen Geiste,
auch Zukünftiges mir bewußt ist, wie
längst Vergangenes und erdenzeitlich Ge
genwärtiges. Solches Bewußt-sein aber
ist ein Nach-Erleben dessen, was voreinst
in Menschenseelen durch ihr Erleben emp‐
funden wurde, ‒ ein Mit-Erlebenmüssen
156 Hortus Conclusus
dessen, was in erdenzeitlicher Gegenwart
infolge erdenmenschlichen Erlebens im
Seelischen empfunden wird, ‒ und ein
Vor-Erleben dessen, was erst zukünftiges
Geschehen zu seelischem Empfinden
bringt. An keinem Punkte solcher Er‐
lebens- und Empfindungsverbundenheit
sind mir etwa die äußeren Umstände
zugleich bewußt oder auch nur im Bilde
gegenwärtig, die das von mir seelisch Mit‐
empfundene äußerlich ausgelöst haben,
gegenwärtig auslösen, oder in Zukunft
auslösen werden! Ich selbst ziehe meinem
Miterleben in dieser Hinsicht die genaue‐
sten Grenzen, von denen ich alles fernhal‐
te, was nicht von mir mitempfunden wer‐
den muß und sich dennoch in mein
Bewußtsein eindrängen möchte. Was aber
in meinem rein geistig bestimmten Mit‐
empfindenmüssen von mir aufgenommen,
empfunden und erfahren wird, ist auch
157 Hortus Conclusus
nur meiner eigenen seelischen Ein-Sicht
zubestimmt, und soll niemals Gegenstand
einer Vorhersage werden, auch wenn es
Zukünftiges in sich umschließt.
.Weshalb mir jedoch zu verschiedenen
Zeiten aus dem Bewußtsein und Willen
Dessen, in dem ich ewig geistgeboren bin,
zubestimmt wurde, Hinweise auf Zukünf
tiges zu übermitteln, wird erst zukünfti
gen Menschen offenbar sein. Ehe Bestäti
gung fand, was meine Worte einer mir
selbst nicht vorher nach irdischem Zeitmaß
ausmeßbaren Zukunft zusagen mußten,
kann niemand erkennen, was erst spätere
Geschlechter aus der ihnen dargebotenen
Bestätigung erkennen werden.
158 Hortus Conclusus
WEM ICH
NICHTS ZU SAGEN HABE
Alles, was ich zu sagen kam, ist nur gesagt
worden, um die, denen es gilt, zu ihrem
bewußten Erwachen im ewigen Lichte des
Geistes zu rufen, der ihr substantieller
Lebensurgrund ist und daher einzige Ge‐
währ des Lebens in der Dauer. Ich will
jedoch nicht jene wecken, denen der
Schlaf noch nötig ist. Ihnen habe ich nichts
zu sagen, und was sie dennoch hören,
wenn ich zu den Meinen spreche, das bleibt
ihnen nur wie Klang und Sang, den das
Ohr eines Schlafenden aufnimmt ohne des
Gehörten Sinn zu fassen. Noch träumen
sie mit offenen Augen, und ihrer Träume
Welt ist ihre einzige bewußte „Wirklich‐
keit”. Man muß die Traumbetörten wei‐
terschlafen lassen bis sie selbst einmal des
Schlafens müde werden, ‒ sei es noch in
dieser Erdenzeit oder erst nachdem die
Hilfe, die der Erdenkörper ihnen darbot,
unerreichbar für sie wurde. „Die Nacht,
161 Hortus Conclusus
da niemand wirken kann” ist „Nacht”
nur dem, der seines Erdenkörpers Geistes‐
hilfe nicht zu nützen strebte, und nur von
Seinesgleichen ist gesagt, daß „niemand”
in dunkler Nacht zu „wirken” wisse. Es
ist nicht gerade leicht, seine Träume am
hellichten Tage zu durchschauen und zu
gewahren, daß die geträumte Wirklichkeit
nur „Wirklichkeit” ist für den Traum, der
in ihr spielt. Es ist aber unsagbar viel
leichter, zu dieser Einsicht zu kommen,
solange der Erdenkörper noch der Emp‐
findung des Ewigen irdische Resonanz dar‐
zubieten vermag, als nach dem körper‐
lichen Tode, der solche Möglichkeit
definitiv entzieht.
.Die man weiterträumen lassen muß, da
sie noch lange nicht des Schlafens müde
wurden, ahnen natürlich nichts von diesen
Dingen, und wollen nichts erahnen, was
sie erwecken könnte. Sie fühlen sich zu
162 Hortus Conclusus
wohl in ihrem Träumen, das sie ihr
„waches Denken” nennen, als daß sie auch
nur den leisesten Drang in sich zu fühlen
fähig wären, ihren Zustand mit einem an‐
deren zu vertauschen. Im Glauben, ihrem
gehirnlichen Denken müsse sich jedes
Dunkel auflichten, vermuten sie überall
Irrtum und Täuschung, wo ihrem erträum‐
ten Erkennen die Aufhellung unmöglich
ist, weil nur die erwachte Empfindungs
fähigkeit der Seele das substantielle Licht
des ewigen Geistes zu erfassen vermag.
Und keiner der in ihren Träumen so
Selbstgewissen wird gewahr, wie wertvoll
ihm sein Erdenkörper werden könnte,
wenn er ihn zu nützen wüßte als zeitlich
gegebenen Empfindungs-Verstärker, durch
den es der Seele unsagbar erleichtert
wird, das hauchzart im Geiste Emp‐
fundene an das Gehirnbewußtsein her‐
anzubringen.
163 Hortus Conclusus
.Allen diesen, ihrer Sache so Sicheren
habe ich nichts zu sagen, und was ich sage,
ist nicht für sie gesagt. Erst wenn ihre
große Sicherheit eines Tages ihnen selbst
verdächtig wurde, werden sie zu mir fin‐
den können, und dann erst werde ich auch
ihnen „etwas zu sagen” haben.
.Niemals aber habe ich denen etwas
zu sagen, die ‒ wie Wühlmäuse die
Wurzeln ‒ alle Geheimnisse annagen,
deren Innewerden ihnen nicht zubestimmt
ist. Sie sind nicht minder bei offenen
Augen im Traum, wie die anderen, aber
ihr Träumen ist Auskosten unsauberer
Gier und verstohlener Sucht nach Macht
über Mächte, die ihnen wohlweislich un‐
erreichbar überordnet sind. Mögen solche
Freibeutergehirne auch alles was ich
anderen zu sagen habe, in ahnungsloser
Überheblichkeit auf sich beziehen, so kann
es ihnen doch niemals zu eigen werden,
164 Hortus Conclusus
denn was ich zu sagen habe, will empfun
den werden, ‒ die beflissen nach verbor‐
gener Macht Begierigen aber wollen
hinterlistig hinter die Dinge kommen,
von denen ich anderen zu sagen habe, daß
man ihrer nur innezuwerden vermag.
.Wer wirklich zu denen gehören will,
denen ich etwas zu sagen habe, der muß
weit den Wahn von sich werfen, als ob ich
ihm ein „Wissen” bringen wolle, das er
zu seinem vorhandenen irdischen Wissen
hinzutun könne und somit für sich ge‐
wonnen habe. Erst dann faßt er das, was
ich zu sagen habe, wenn er in jedem Wort
nur meinen Willen erfühlt, die Empfin
dungsfähigkeit seiner Seele zu wecken,
und dann erst werden ihm meine Worte
auch wirklich „etwas zu sagen haben”!
Alles, was ich sage, will empfunden
werden und ist nicht in der Absicht gege‐
ben, dem Scharfsinn des Empfangenden
165 Hortus Conclusus
eine Aufgabe darzubieten zur Übung
seiner gedanklichen Zergliederungskunst.
So habe ich denn auch allen denen nichts
zu sagen, die eifrig das bei mir Gehörte
anderem irgendwo Vernommenen anzu‐
bequemen suchen, denn was ich gebe,
wird sofort verfälscht, wenn man meine
Worte derart deutet, als wollten sie
irgendeinem philosophischen oder be‐
kenntnishaften Denksystem Eideshelfer‐
dienste leisten. Was ich sage, ist
Bezeugung ewiger Geisteswirklichkeit
und nur aus ihrer Selbstempfindung zu
Wort geworden! Was ich gebe, gleicht gut
aufgenommenen Landkarten, die den
Reisenden vor dem Verirren schützen.
Wer aber das Land selbst wahrnehmen
will, dem nützt es nichts, um die Wege zu
wissen”. Nur, wenn er sie selbst
beschreitet, wird ihm empfindungsnahe
kommen, was vorher ihm verborgen war!
166 Hortus Conclusus
VOM EWIGEN SEELENHEIL
Wenn immer wieder gesagt wird, daß der
Weg zum ewigen Lichte, ja, das ewige
Lichtreich selbst, aus dem der unzerstör‐
bare Kern geistigen Menschentums: ‒ der
substantielle ewige „Geistesfunke” ‒ ent‐
stammt und in das er mit oder ohne das
Individualbewußtsein des Erdenmenschen
wieder zurückkehren muß, ‒ nur „im
Innern” zu finden ist, so wird damit frei‐
lich nicht gemeint, daß die erdgezeugte
Menschnatur das ewige geistige Licht‐
reich und den Weg zu ihm in sich um‐
schließe, wie ein Gefäß seinen Inhalt um‐
schließt. Der Mensch dieser Erde ist viel‐
mehr die Zusammenfassung einer Gruppe
von sehr verschiedenen Regionen der
Empfindungsfähigkeit, und der Weg zum
Lichte führt von einer dieser Regionen
zur anderen, immer näher zu der aller‐
innersten. Seit den ältesten Zeiten haben
alle, die von diesem Wege wußten, ihn
169 Hortus Conclusus
zwar im Bilde einer Stufenfolge und eines
Aufstieges dargestellt, aber es ist hier nicht
an einen Weg in die Ferne zu denken,
sondern immer festzuhalten, daß jede
„Stufe” auf dem „Wege” zum Lichte,
eine Stufe nach innen darstellt, und nur
„höher” als die vorherige liegt, weil sie in
nerlicher gelagert ist. Der „Weg” ist aus
konzentrisch geordneten Regionen immer
lichterer Empfindungsfähigkeit gebildet.
Man könnte ihn an einem technischen Ver‐
ständigungsmodell darzustellen suchen,
indem man vor eine Lichtquelle eine nicht
zu geringe Anzahl gleichgroßer kreisrun‐
der Glastafeln von verschiedener Färbung
befestigen würde, so, daß eine dieser Ta‐
feln nach der anderen zu entfernen wäre.
Zuerst würde kaum ein Schein des Lichtes
die farbigen Gläser durchdringen, aber je
mehrere man von den äußeren, die zu‐
gleich die dunkelfarbigsten sein müßten,
170 Hortus Conclusus
hinwegnähme, desto deutlicher käme die
Form des innen brennenden Lichtes dem
Auge zu Bewußtsein, wenn auch noch im‐
mer durch mancherlei Färbung gesehen,
bis zuletzt die gänzlich farbenfreie in‐
nerste Kreistafel auch die wirkliche Eigen
farbe des Lichtes freilegen würde.
.Seiner Tiernatur nach eingeboren der
allen bekannten äußeren physischen Welt,
sieht es der Mensch als seine nächstliegen‐
de, zumeist sogar als seine einzige Aufgabe
an, nur die alleräußerste Region der
Empfindungsfähigkeit, die gerade noch
seine Tierseele umschließt, sich zu Bewußt‐
sein zu bringen und auszukunden. Immer
wieder aber wurden Menschen, trotz der
fast undurchlässigen Dichte der ihnen allein
vertrauten äußeren Empfindungsregion,
doch das innere Licht fühlend in sich ge‐
wahr, wenn es ihnen auch nur in der Art
einer Ahnung aufschimmern konnte. So
171 Hortus Conclusus
entdeckte der Mensch, daß auch noch an‐
dere Regionen der Empfindungsfähigkeit
ihm gegeben seien, durch die er dem ge‐
ahnten Lichte näherkommen könne, und
wenn er auch zumeist nicht weiter gelangte
als in die Region der Bilder, wie sie in
den Offenbarungen seiner Religionen zum
Ausdruck kommt, so war damit doch schon
Entscheidendes erreicht. Bis hierher konn‐
te jeder geführt werden, um seines Inner‐
sten wenigstens im Bilde bewußt zu
werden.
.Es ist aber vielen auch mehr zu erlangen
möglich, wenn auch unter diesen wieder
nicht alle die Kraft der Zuversicht auf‐
bringen, die unbedingt und viele Jahre
oder selbst Jahrzehnte hindurch nötig ist,
um in jene Regionen der Empfindungs‐
fähigkeit zu gelangen, in denen die Kräfte
der ewigen Seele unvermittelt empfunden
werden können, oder gar in die aller
172 Hortus Conclusus
innerste Region hinzufinden, in der al‐
lein der ewige Geistesfunke um den die
ewigen Seelenkräfte „kristallisieren”, sich
dem Empfinden des irdischen Menschen
zu eigen gibt. Aber so, wie im äußeren
irdischen Leben gar viele lebensbedeut‐
same und richtungweisende Dinge keines‐
wegs allen Menschen erlebbar und versteh‐
bar werden können, obwohl die Auswir‐
kung dieser Dinge aller Menschheit fühl‐
bar wird und keinen ausnimmt, der sich
nicht selber ausschließt, so genügt es auch
vollauf, von den im Geistigen nicht allen
erfahrbaren und durchdringbaren Dingen
durch die Verkündigung der Leuchtenden
des Urlichtes zu wissen, ‒ die in den hier
in Betracht kommenden Regionen allein
erfahrungsfähig sind und im Verlaufe der
Jahrtausende immer wieder ihren Ver‐
künder finden, ‒ will man die Gefahr ver‐
meiden, daß man sich selber ausschließe
173 Hortus Conclusus
durch verkehrte Willensrichtung. Das
Heil der Seele” wird durch den Willen
bestimmt, nicht durch ein Fürwahrhalten
irgendwelcher Berichte und Glaubens‐
lehren! Wenn sich der Wille des irdischen
Menschen weigert, seine Direktiven wei‐
terhin nur von seiner Tierseele allein ent‐
gegenzunehmen, so stellt sich der Mensch
schon damit in die Leitung des sich in
ihm erlebenden ewigen Geistesfunkens,
wodurch seine ewige Seele allmählich die
Form empfängt, die sie braucht um sein
sonst zeitlich vergängliches Individualbe‐
wußtsein in ihre Unvergänglichkeit auf‐
nehmen zu können. Diese „Transfusion”
erfolgt gänzlich unvermerkt, und unab‐
hängig davon, welche inneren Empfin‐
dungsregionen dem irdischen Menschen
schon zugänglich wurden. Nur der eigene
Wille des Menschen kann wieder scheiden,
was in solcher Art Verschmelzung fand.
174 Hortus Conclusus
VON DER VERZÖGERNDEN
FRAGELUST
Wenn die empfangene Antwort wieder
eine neue Frage veranlaßt, so hat man den
deutlichsten Beweis dafür in Händen, daß
die Antwort nicht aufgenommen undzu
eigengemacht worden war. Wie oft soll
ich auch noch sagen, daß es wahrhaftig
meine Aufgabe nicht ist, der unbändig
wuchernden Fragelust des Gehirnverstan‐
des unnötigerweise Anregung zu immer
neuen Fragen zu bringen! Viel mehr als
mir jemals oblag, bin ich der menschlichen
Schwäche des nimmermüden Fragenstel‐
lens verstehend entgegengekommen, aber
man wird gewiß nicht behaupten wollen,
daß ich dabei unterlassen hätte, immer
wieder darauf hinzuweisen, wie wertlos
alles in Fragen sich verzettelnde Wissen‐
wollen ist, und wie nutzlos jede Antwort,
die nicht zu eigener Beantwortung einer
Frage führte. Wenn man auch alles wüßte,
was jemals von den Weisesten aller Zeiten
177 Hortus Conclusus
in den Landessprachen ihrer Völker ver‐
kündet und niedergeschrieben wurde
über den Urgrund menschlichen geistigen
Lebens, so wäre man diesem, seinem ei‐
genen geistigen Lebensurgrund damit
noch nicht um Haaresbreite näher gekom‐
men. Wohl aber kann man empfindend
seiner innewerden, ohne auch nur ein
Wort jener Weisen zu kennen, ‒ ohne
auch nur das Geringste von dem zu wis‐
sen, was über diesen ewigen geistigen Ur‐
grund erdenmenschlichen geistigen Le‐
bens ausgesagt zu werden vermag.
.Das Nachgeben gegenüber dem Drang
zur Frage verursacht jedesmal eine erheb‐
liche Schwächung des Empfindungsver‐
mögens und stellt die Einwilligung dar zu
einem Versuch mit untauglichem Mittel,
vielleicht eher verstandesmäßig zu einer
Erkenntnis zu kommen, die nur in emp
findungsmäßigem Innewerden erreich‐
178 Hortus Conclusus
bar, aber nur zu erlangen ist nach Ablauf
zubestimmter Zeit. Das Verlangen nach
einer Antwort von außenher ist Bereit‐
schaft, sich abzufinden mit gedanklich
faßbarer Darstellung dessen, was in seiner
vollen Wirklichkeit zu eigen werden soll,
aber als solche allein der Empfindung
wahrnehmbar wird. Wer da glaubt, seine
hohe Intelligenz vor sich und anderen ins
rechte Licht gestellt zu sehen durch im‐
mer erneute Fragenstellung, der narrt sich
nur selbst, da er nach einer Entscheidung
strebt, die niemals dort fallen kann, wo er
sie so selbstgewiß sucht. Er gleicht einem
Menschen, der etwa mit einem Flugzeug
aufsteigen wollte um Fische zu fangen ‒
in den Wolken! Die Fragen, die beim
Suchen nach Licht und Erleuchtung wirk‐
lich berechtigt sind, können nicht in Worte
gefaßt werden, sondern formen sich nur
der Empfindung, in der allein sie auch
179 Hortus Conclusus
ihre Beantwortung finden. Jedes Fragen
in Worten ist hingegen nur ein Hinaus‐
schieben der erlangbaren Antwort in der
Seele selbst. Es handelt sich ja doch nicht
um etwas, das in Worten zufriedenstellend
ausgesprochen werden könnte, auch wenn
die wundersamsten Worte sich dazu dar‐
bieten wollten. Es ist das zu Erlangende
auch nichts, das so, aber auch anders sein
könnte, auch wenn es in tausendfältig ver‐
schiedener Umschreibung benannt zu
werden vermag. Es handelt sich vielmehr
allein um den verborgenen substantiellen
Urgrund des eigenen zeitlichen Daseins
wie des eigenen Seins im ewigen substan‐
tiellen Geiste!
.Hat aber der Erdenmensch auch nur ein‐
mal diesen durch alle Geschlechterfolgen
weiter sich auswirkenden und in jedem
Einzelnen erneut sich individualisieren‐
den Urgrund seines eigenen Lebens leib‐
180 Hortus Conclusus
haftig empfindend in sich erfahren, dann
sieht er erst erschauernd, welcher Torheit
er voreinst verfallen war, als er noch
wähnte, dieses Erste und Letzte, ‒ Ein‐
malige und Unendlichfältige, ‒ lasse in
Worten sich erfragen und könne Frage‐
worten Antwort werden... Aller Auf‐
schluß über innere Zusammenhänge
ewigen, substantiellen geistigen Lebens
kann ja niemals das Bewußtwerden im
eigenen Innern ersetzen, und keine ge‐
dankliche Darlegung vermag jemals die
Gewißheit zu schaffen, die allein das Inne
werden dieses Einen, das alle Zahl in sich
darlebt, in der leibhaften Empfindung er‐
zeugt. Hier endet jeder Bereich der Frage
und alle gedanklich genährte Fragelust ist
erloschen. Wird aber auch solches Ein‐
gehen in die allerinnerste Region der
Empfindungsfähigkeit wahrhaftig nur
Wenigen gewährt, da nur die Wenigsten
181 Hortus Conclusus
darauf zu warten wissen, so bleibt doch
Allen wache Einsicht offen, wo auch
immer sich ihr Empfinden Ewigem einzu‐
beziehen strebt: ‒ fraglos allem gehirn‐
bedingten Fragedrang sich selbst ver
sagend und dem Wirklichen zugekehrt,
das nur dem Empfindungsbewußtsein sich
offenbaren kann.
182 Hortus Conclusus
VON ZEITLICHER
UND EWIGER SEELE
Daß Menschen dem Tiere die Seele ab‐
sprechen konnten, erscheint unbegreiflich
töricht, wird aber auch scheinbar unver‐
ständlich, angesichts der Gewißheit, daß
die übergroße Mehrzahl der Erdenmen‐
schen nur ebendiese Tierseele als eigene
„Seele” kennt und die aus ewigen Seelen‐
kräften gestaltete, ihrer Substanz nach in
der Dauer verharrende Seele kaum oder
garnicht im Innern wahrzunehmen fähig
ist. Und doch liegt hier nur ein wohlbe‐
greifliches Irren vor, insoferne, als der
Mensch alles Überphysische, was in ihm,
gleich der Seele des Tieres, nur Funktions‐
ergebnis des Lebens der Zellen seines sicht‐
baren tiergemäßen Körpers ist, schon zu
seiner ewigen Seele zählte, über deren Da‐
sein er durch Solche seiner Art unterrich‐
tet worden war, die sich in ihr zu erleben
vermochten. Daß die Beobachtung aber
den Erdenmenschen dennoch dahin führte,
185 Hortus Conclusus
auch im Tiere Gleiches zu entdecken, wie
das, was ihm in ihm selber der ewigen
Seele zuzugehören schien, zeigt deutlich
genug das oft wiederkehrende Märchen‐
motiv, in dem Tiere erscheinen, die eigent‐
lich tierhaft verhüllte Menschen, oder
durch boshafter Zauberer Kraft verzau
berte Menschen sind. Es war dem Men‐
schen unheimlich, daß er am Tiere, das
doch nach den meisten Glaubenslehren
„keine Seele” haben konnte, gleichwohl
Seelisches wahrnehmen mußte, und wo
der religiöse Glaube die Seelenwande‐
rung zuließ, dort fand die Vorstellung,
daß sich Menschenseelen in Tieren ein‐
gefesselt fänden, gewiß keinen ausschlie‐
ßenden Widerstand, ‒ war doch der Glau‐
be an Metempsychose selbst nur eine
Folge der Wahrnehmung gleicher Eigen‐
schaften und gleichen Verhaltens bei
Mensch und Tier.
186 Hortus Conclusus
.Wie ich in der knappen Abhandlung
„En sôph” im „Buch vom lebendigen
Gott” kurz aufgezeigt habe, stößt die in
ewiger Starre sich selbst erschütternde
Nacht des Urseins ohne Unterbruch dunkle
Kräfte aus: ‒ gleichsam Splitter ihrer eige‐
nen, ewigen unerschöpflichen Substanz, ‒
ewiges Ursein, wie sie selbst, und nach der
Auswirkung in einem jeweils bestimmten
schöpferischen Zyklus wieder in sie zu‐
rückkehrend. Ich habe dort dargelegt, wie
diese Urseinskräfte Ursache aller Gestal‐
tung im Weltenall sind. Ich zeigte aber auch,
wie sie in sehr verschiedenen Formen wir‐
ken. Eine der subtilsten dieser Formen
zeigte ich in den im „Urlicht” zu absolu‐
ter Klarheit aufleuchtenden Kräften, aus
denen die Individualform der ewigen Seele
des Menschen sich gestaltet. Diese Gestal‐
tung kann jedoch nur erfolgen, wenn der
ewige „Geistesfunke”, ‒ der als dauernde
187 Hortus Conclusus
Individualisierung im ewigen Geiste, An‐
laß aller Individualisation im Zeitlichen
wird, ‒ diese „Seelenkräfte” an sich zur
Kristallisation bringt, dadurch, daß der
Wille des Erdenmenschen sie ihm zur Eini‐
gung überläßt. Wie alles Gestaltete, ist
auch das Tiergemäße des Erdenmenschen,
und mit ihm, dessen Wille, nur Folge-Er‐
scheinung der Auswirkung jener Urseins‐
kräfte, die wieder in die Nacht des Urseins
zurückkehren, nachdem sie jeweils den
Zyklus ihres zeitlichen Wirkens vollbracht
haben. Im Tiere ist dieses Vollbringen mit
der Gestaltung der Tierseele geschehen,
die ebenso im Erdenmenschen ‒ soweit
er des Tieres ist ‒ sich darstellt als bloßes
zeitliches Funktionsergebnis seines tierge‐
mäßen Organismus, und aufhört zu beste‐
hen, sowie dieser Organismus seine Lebens‐
bedingungen nicht mehr erfüllen kann.
Der entscheidende Unterschied zwischen
188 Hortus Conclusus
Tier und Erdenmensch besteht darin, daß
der Mensch auch noch in der Tiergebun‐
denheit, in die er auf Erden gefesselt ist,
fähig bleibt, seiner selbst als des ewigen
„Geistesfunken” aus dem Urlicht bewußt
zu werden, ‒ und das wieder ist innerhalb
des Irdischen nur möglich, weil der Erden‐
mensch nicht nur die Folge-Erscheinung
der Auswirkung bloß im Physischen gestal‐
tungsfähiger Urseinskräfte darstellt, son‐
dern jene hohen, durchlichtungsfähigen
Urseinskräfte, ‒ die ihm schon allein aus
ihrer eigenen ewigen Dauer und Ewig‐
keitskonsistenz heraus seiner Seele „Un‐
sterblichkeit” verbürgen, ‒ in direkter
Beziehung als sein Eigen in sich selber
findet. Es ist des Erdenmenschen not‐
wendige, durch sein Dasein selbstge‐
setzte Aufgabe, die hohe Form der Ur‐
seinskräfte, ‒ die als „Ursein” im „Ur‐
licht” aufleuchtend, seine Seelenkräfte
189 Hortus Conclusus
bilden, um endlich im „Urwort” blei‐
bender Gestaltung der Seelenform zu
dienen, ‒ im Kristallisationspunkt sei‐
nes Ewigen zu einen! Das aber erfolgt
durch einen konstanten Akt des erden‐
menschlichen Willens, der ja nur Folge‐
Erscheinung des Wirkens jener primiti
ven Form der ewigen Urseinskräfte ist,
deren dem Erdenmenschen zugängliche
höchste Form seine eigenen ewigen See‐
lenkräfte sind.
.Alle Ewigkeitsempfindung ist dem ins
Irdische „gefallenen” Menschen nur mög‐
lich durch die ewigen Seelenkräfte, ‒ aber
nur dann, wenn sie ihren Herrn und Mei‐
ster in dem ewigen „Geistesfunken” des
Menschen fanden, und in ihm die Eini
gung. Ein wie geheimnisvoll Erhabenes
auch jede einzelne ewige Seelenkraft dar‐
stellt, so ist doch jede ein Eigenwilliges,
das ‒ ohne Bündelung in einer individuell
190 Hortus Conclusus
bestimmten Seelenform ‒ nur sich selber
und seine Eigenstrebung auswirkt. So
kann der Erdenmensch trotz allen seinen
Seelenkräften dennoch seinem Ewigen
verloren gehen, wenn er nicht seinen, nur
die Folge-Erscheinung geistiger Urseins‐
kräfte bildenden irdischen sekundären
Willen nach aller, wenn auch erdbehin‐
derten Möglichkeit konstant dem primä
ren Willen des ewigen Geistesfunken in
sich anzugleichen bestrebt ist. Denn nur
in diesem rein ewigkeitsbestimmten Wil‐
len lassen sich die ewigen Seelenkräfte
nach bestimmter, geistig dargebotener
Formung in der bleibenden ewigen Men‐
schenseele einen. So aber nur erfolgt auch
jene „festliche Einung”, in der des Men‐
schen nurirdisches Bewußtsein die Be‐
fruchtung aus ewigem Geistesmenschen
tum durch Erfassung des eigenen ewigen
Geistesfunkens in sich empfängt, wonach
191 Hortus Conclusus
dem nun geistig Überlichteten „sein le‐
bendiger Gott” in der eigenen, indivi‐
duell geformten Seele „geboren” wird.
192 Hortus Conclusus
WAS NACH DEM TODE BLEIBT
Gewiß wäre die Annahme richtig, daß
nach dem Tode des menschlichen Kör‐
pers die Tierseele des Menschen mit allem
was jemals in ihr erlebt wurde, als bloßes
Funktionsergebnis seiner nunmehr zu je‐
der Funktion unfähig gewordenen Leib‐
lichkeit, ausgelöscht sein müsse wie bei
jeglichem Tier, dem der Tod auch die
Seele endet, ‒ wenn nicht beim Erden‐
menschen während seines leiblichen Le‐
bens die Tierseele mit der bleibenden
Seele derart intensive Empfindungsge‐
meinschaft eingegangen wäre, daß sich
das in der Tierseele Erlebte in vielfältig‐
ster Verwobenheit mit den Kräften der
ewigen Seele findet. So ist nun zwar auch
nach dem Tode des Menschen kein weite
res Bestehen der Tierseele möglich, aber
das, was in der menschlichen Tierseele bis
zu ihrem Erlöschen erlebt worden war,
ist in den ewigen Seelenkräften neben
195 Hortus Conclusus
und unter deren eigenem Erlebensinhalt
vorerst noch mitverwahrt, und es braucht,
‒ nach irdischer Zeitvorstellung bemes‐
sen, ‒ je nach der Art des Erlebten und
der Stärke seiner Einprägung, Jahrzehnte,
Jahrhunderte, Jahrtausende und mehr, bis
die endgültige Siebung nach dem Willen
der ewigen Seele jeweils durchgeführt
werden kann, wonach sich dann bestimmt,
welche Erinnerungsgegenwart dem ewi‐
gen Bewußtsein erhalten bleibt und wel‐
che die Seele für immer erloschen sein
läßt. Die ewigen Seelenkräfte, die in my‐
riadenhafter Anzahl die während des Er‐
denlebens vom Menschen durch Wille und
Tat gestaltete Form seiner Seele bilden,
haben mitempfunden, haben miterlebt,
was in der Tierseele ehedem empfunden
und erlebt worden war, und verwahren es
im Bewußtsein der bleibenden Seele bis
diese durch eigenen Willensakt entschei‐
196 Hortus Conclusus
det, was ihr erhalten sein, und was ihr
entschwinden soll.
.Diese Entscheidung sogleich nach dem
Tode des irdischen Körpers zu treffen, ist
unmöglich, weil die einzelnen, der Tier‐
seele entstammenden Erlebenseindrücke
den ewigen Seelenkräften in ganz ver‐
schiedener Intensität eingeprägt sind, je
nach den Impulsen, die das Empfinden in
der Tierseele gleichzeitig in den ewigen
Seelenkräften zum Mitschwingen gebracht
hatten. Nicht eher steht es der bleiben‐
den Seele frei, zu entscheiden, was sie
in ihrem dauernden Bewußtsein behalten
und was sie ausstoßen will, als bis alle Im‐
pulskraft aufgebraucht ist, durch die ehe‐
dem ein Empfinden der Tierseele sich
den ewigen Seelenkräften einzuprägen
vermochte. Alles Identitätsbewußtsein ist
aber nur in den Empfindungskomplexen
enthalten, die sich die ewige Seele der‐
197 Hortus Conclusus
einst für die Dauer einbezogen sehen
will. Was sie hingegen ausstößt, ist damit
für die Dauer ausgelöscht, wie alles beim
Tode des Tieres erloschen ist, was jemals
für das Tier in seiner Seele bewußtes Er‐
leben geworden war. Von allem Tiereser‐
leben kann ja nur in die Dauer eingehen,
was die ewigen Seelenkräfte eines Men
schen, der an dem Erleben eines Tieres
Anteil nahm, als menschliche Empfindung
berührte und Eindrücke hinterließ als
Erinnerungsgegenwart. Die dunklen Ur‐
seinskräfte ohne Eigenbewußtsein, die
Ursache für des Tieres Leben, Gestaltung
und Tierseele gewesen waren, sind hin‐
gegen nur indirekt durch das Erleben des
Tieres berührt worden, insofern als ein‐
drucksames und lange hindurch wieder‐
holt empfundenes Erleben in der Tier‐
seele die einzelnen Urseinskräfte gleich‐
sam zu imprägnieren vermag, so daß in
198 Hortus Conclusus
ihrer nächsten zur Gestaltung drängenden
Verbindung Ausdruck finden kann, was
sie in der vorhergehenden empfingen.
Nicht anders verhält es sich beim Men
schen dieser Erde, soweit er Tierleben,
Tiergestaltung und Tierseele ist!
.Wenn man davon spricht, daß die Seele
„Schaden leiden” könne, und dabei etwa
die bleibende, ewige Seele meint, so will
und soll solches Wort nur in übertragenem
Sinne verstanden sein, denn in Wirklich‐
keit kann die ewige Seele weder durch
Irdisches geschädigt, noch gar getötet wer‐
den. Wohl aber kann sie dem Erdenmen
schen verlorengehen, ‒ wie der Erden‐
mensch ihr, ‒ so daß in ihm abstirbt, was
ehedem aus den Kräften seiner Seele gei
stiges Leben in der Zeit empfangen hatte.
Was hingegen des Erdenmenschen Tier
seele anlangt, so kann diese allerdings sei‐
ner ewigen, bleibenden Seele Erinne‐
199 Hortus Conclusus
rungsgegenwärtiges darbieten, das die
ewige Seele auch dann sich erhalten
wissen will, wenn längst die Impulse,
die es ihr einprägten, aufgebraucht sind.
So wird in Ewigkeit die Bewußtseins
einheit zwischen dem vormals im Irdi‐
schen lebenden Menschen und seiner blei
benden Seele erhalten. Aber mit nicht
geringerer Wirksamkeit kann die ewige
Seele auch aus der Tierseele her nur
mit ihr Ungemäßem belastet werden, das
auf unermeßbare Zeiträume hin jede
Einung des vormaligen irdischen mit
dem ewigen Bewußtsein ausschließt,
oder ‒ auch für alle Ewigkeit unmög
lich macht...
.Um das, was seine ewige Seele ihm zu
geben hat, braucht sich der Erdenmensch
wahrhaftig nicht zu sorgen. Wohl aber
vermag er während seines physischen Le‐
bens kaum sorgsam genug darauf zu ach‐
200 Hortus Conclusus
ten, daß seine Tierseele darbietet, was
seine bleibende Seele in die Dauer auf‐
nehmen kann!
201 Hortus Conclusus
VON EINEM NAMEN
UND EINEM NOTBEHELF
Wenn sowohl ein bloß zeitlich erfolgen‐
des und nur zeitlich wahrnehmbares
Funktionsergebnis des irdischen, tierhaft
organischen Körperlebens mit dem Wort
„Seele” bezeichnet wird, indem man von
der „Tierseele” spricht, ‒ als auch jenes
im Physischen unfaßbare Ewige, das blei‐
bende Äußerungswelt des individualisier‐
ten ewigen Geistesfunkens ist, so hat hier
eine gleiche Namensgebung volle Berech‐
tigung. Zwar ist die Tierseele nur ein in
direktes Ergebnis des Wirkens ewiger Ur‐
seinskräfte dunkelster drang- und trieb
mäßiger Auswirkungs-Stufe ohne Eigen
bewußtsein der am Leben eines Organis‐
mus beteiligten Myriaden solcher Kräfte
für sich selbst, während die bleibende
Seele sich ihre Form bilden läßt aus Myri‐
aden vollbewußter, im Urlicht aufleuch
tender Urseinskräfte der menschlich emp‐
findbaren höchsten Stufe, und somit eine
205 Hortus Conclusus
direkte Manifestation dieser hohen Ur‐
seinskräfte darstellt, ‒ aber dennoch han‐
delt es sich bei Beidem um überaus Ähn‐
liches, soweit die Empfindungsform für
Beides in Frage kommt. So ist denn in
beiden Fällen der gleiche Name nichts
anderes als eine Charakterisierung dieser,
beiden gemeinsamen Empfindungsform.
Schon aus der Tatsache, daß beide Er‐
lebens- und Empfindungsbezirke ihre
Gleichnamigkeit in jeder Sprache durch
ein anderes Wort bezeichnen lassen müs‐
sen, ergibt es sich, daß der Name „Seele”
nicht eine an bestimmte Buchstabenfolge
geknüpfte lautgemäße Darstellung bildet,
sondern als benennender Name für wirk
lich Vorhandenes, physischen Augen Un‐
sichtbares, gemeint ist.
.Hingegen ist die Definition des Erden‐
menschen als eines sichtbaren vergäng‐
lichen Körpers und einer unsterblichen
206 Hortus Conclusus
Seele nur ein Notbehelf, zu dem der im
Irdischen Gebundene seine Zuflucht nahm,
nachdem ihm bewußt geworden war, daß
noch anderes als das körperhaft Sichtbare
in seiner Existenz sich auswirke. Solcher
Notbehelf war genügend in Zeiten naiver
Hinnahme primitiver Erklärungen alles
Wahrgenommenen, ‒ er genügt aber
nicht mehr, nachdem es dem Erdenmen‐
schen Bedürfnis wurde, seine Beobach‐
tungen kritisch zu vergleichen. So mußte
denn das Beibehalten dieses Notbehelfes
immer mehr und mehr die Empfindungs‐
fähigkeit für die bleibende Seele abschwä‐
chen, nachdem kritische Beobachtung
mehr und mehr der Tierseele habhaft
wurde, und entdecken mußte, daß hier
nichts anderes vorliegt, als ein zeitliches
Funktionsergebnis des vergänglichen irdi‐
schen, aus tierhaften Kräften, ‒ wenn
auch dem Tiere weit überlegen, ‒ geleb‐
207 Hortus Conclusus
ten Lebens. Je mehr sich alles Empfin‐
dungsvermögen nun auf die ja als Wirk‐
lichkeit zeitweilig bestehende, dann aber
der Auflösung verfallende Tierseele kon‐
zentrierte, desto weniger konnte es im‐
stande bleiben, auch die bleibende Seele
zu empfinden, einerlei, ob man das Emp‐
fundene ‒ nicht ganz zu Unrecht ‒ als
Beweis dafür ansah, daß alle beobachtete
„seelische” Äußerung dem physischen
Körper allein zuzurechnen sei, oder ob
man ‒ gegensätzlicherweise ‒ nun alles,
was wirklich nur die Tierseele zur Ur‐
sache hat, schon als Manifestation der
ewigen Seele auslegte. Beide Irrtümer
können nur überwunden werden, wenn
man weiß, daß es sich bei allem „Seeli‐
schen” im Erdenmenschen um zwei di‐
stinkt voneinander zu unterscheidende
Lebensbereiche, aber ihre der Empfin‐
dung nach ähnlichen Äußerungen handelt.
208 Hortus Conclusus
.Es ist nun freilich dem nicht gänzlich
im Geistigen Bewußten praktisch uner‐
reichbar, etwa in jedem Einzelfall fest‐
stellen zu können, was an seelischen Äuße‐
rungen noch der Tierseele entstammt, und
was mit Bestimmtheit die Existenz der
bleibenden: ‒ der ewigen, unsterblichen
Seele voraussetzt. Zu sehr ist Beides in‐
einander verflochten, wenn auch insoferne
bedeutsame Unterscheidung besteht, als
zwar alles, was in der Tierseele empfun‐
den und erlebt wird, auch der ewigen
Seele zu Bewußtsein kommt, ja, in ihr
verwahrt wird, ‒ während es einer sorg‐
fältigen Erziehung der Tierseele und
jahrelanger ausdauernder Hingabe bedarf,
wenn sie auch nur die Gewißheit der Exi
stenz der bleibenden Seele erlangen will.
Das hindert jedoch nicht, daß die mensch‐
liche Tierseele in einemfort Einflüsse aus
der bleibenden Seele empfängt, ohne der
209 Hortus Conclusus
Herkunft und Natur dieser Influenzen be‐
wußt zu werden. Ihnen dankt es der Er‐
denmensch, daß seine Tierseele sich zu
unermeßlicher Höhe über die Seele der
bloßen Erdentiere emporzuheben ver‐
mag, ‒ wie das zum Beispiel in den Be‐
reichen der freien Künste geschehen
kann, ‒ obgleich es freilich dennoch
möglich bleibt, daß Menschen kaum jene
Höhe der Entwicklung ihrer Tierseele er‐
reichen, die schon in höheren Tieren
vielfach vorgefunden wird.
210 Hortus Conclusus
WAS MAN
SELBER FOLGERN SOLLTE
Wo heute noch, nach allem, was ich über
diese Dinge aus dem Ewigen mitgeteilt
habe, ernsthaft gefragt werden kann, was
denn in den Abgeschiedenen erlebens‐
fähig sei nach dem Tode des Erdenkör‐
pers, so daß dieses Überdauernde sowohl
die Hände hoher Helfer ergreifen, diese
aber auch abweisen und sich unermeß‐
liche Zeit lang in die selbst miterzeugten
„Strandreiche” bannen könne, ‒ dort
muß ich entgegenfragen, ob der trotz
allem was er in meinen Lehrschriften ge‐
lesen hat, doch noch so wenig Erfüh‐
lende nicht etwa nur eine mechanische
Lesemaschine sei, da er offenbar ebenso‐
wenig beim Lesen meiner Worte empfun‐
den hat, wie ein Grammophonapparat
vom Inhalt der Platten empfindet, deren
Gravuren seine Nadel nachzieht. Ich weiß
gewiß, daß ich gezwungen bin, Vielem
Ausdruck zu schaffen, was sich kaum aus
213 Hortus Conclusus
der Wirklichkeit in Worte übersetzen läßt,
und ich bin wahrhaftig nicht vermessen
genug um etwa anzunehmen, daß ich für
alles die vollkommenste Darstellungsweise
gefunden hätte, ‒ aber außer jeder Dis‐
kussion steht mir die in der Praxis un‐
zähligemale bewiesene Möglichkeit, aus
meinen Worten durch einfache logische
Schlußfolgerung zu der richtigen Ant‐
wort auf jede Frage zu gelangen, die
allenfalls noch sich aufdrängen könnte
ohne von mir bereits ausdrücklich spezia‐
lisiert beantwortet zu sein. Auch die hier
nun bezeichnete Frage erfordert wahrhaf‐
tig keinen besonderen Scharfsinn zu ihrer
Beantwortung und ist überdies von mir
oft genug beantwortet durch alles, was ich
jemals im Hinblick auf das Bestehen eines
Bewußtseins und Willens nach dem Tode
des Körpers zu sagen hatte.
.Daß es nicht die erdenmenschliche
214 Hortus Conclusus
Tierseele ist, die den körperlichen Tod
überlebt, ergibt sich wohl deutlich genug
aus meiner Bekundung, daß diese Tier‐
seele lediglich Funktionsergebnis der Le‐
benserscheinungen des physischen Kör
pers ist, also mit dem Tode des Körpers
aufhört, zu bestehen. Es können nur Ge‐
bilde, die man als „Doppelgänger” oder
als „Astralleib” bezeichnet hat, eine ge‐
wisse Zeit weitererhalten bleiben. Diese
Gebilde sind Schemen, die der Impuls zu
eigener Bildgestaltung aus den Kräften
der Tierseele hervorgehen ließ, als diese
noch bestand und in Wirksamkeit war,
und die als Resultat dieser Wirksamkeit
die Auflösung der Tierseele ebensolange
überdauern können, wie die sonstigen
irdischen Auswirkungen der durch die
tierische Seele ausgelösten Impulse, deren
ja eine große Anzahl als Nachwirkung je‐
des beendeten Erdenlebens im Irdischen
215 Hortus Conclusus
zurückbleiben. Aber diese Schemen kön‐
nen zwar ‒ solange sie noch existieren ‒
als aktiv sich auswirkende Erinnerungs‐
bilder Spuk und Unfug verursachen, ha‐
ben aber nicht das allermindeste mehr
mit ihren Erzeugern gemeinsam. Das ein‐
zige, was nach dem Tode des Körpers
Träger des ehemals in der Tierseele sei‐
ner selbst bewußt gewesenen mensch‐
lichen Individualbewußtseins des Erden‐
menschen zu sein vermag, ist nur die
bleibende, ewige Seele, die ja in sich
noch alle Empfindungserinnerung ver‐
wahrt, die sie aus der ihr während des kör‐
perlichen Lebens verbundenen mensch‐
lichen Tierseele empfing. In ihr allein
lebt auch der Wille und die irdisch be‐
stimmte Empfindungsfähigkeit weiter,
die voreinst der Erdenmensch in seiner
Tierseele fand.
.Gewiß bedeutet dieser Zustand für die
216 Hortus Conclusus
ewige Seele eine Bindung, der sie sich je
eher desto lieber entzogen sehen will.
Aber anderseits gehört dieses „Leben
nach dem Tode”, wie es bis zur endgül‐
tigen Befreiung der bleibenden Seele
durchlebt werden muß, noch vollständig
zum Erdenleben! Es stellt nur den Teil
des irdischen Menschenlebens dar, der
ohne tierhaften, sichtbaren Körper und
somit ohne Tierseele zu erleben ist. Erst
wenn auch diese Form irdischen Erlebens,
durch Aufbrauchung der im physischen
Leibesleben mit Hilfe der Tierseele ge‐
schaffenen, impulsgetriebenen Kräfte,
endgültig ausgelebt ist, wird die indivi‐
duelle und während des erdenkörper‐
lichen Daseins unter Beihilfe der Empfin‐
dungs-Resonanz des Tierkörpers durch
die ewigen Seelenkräfte geformte blei
bende Seele gänzlich frei, aus irdischer
Erinnerung zu verwahren, was sie ver‐
217 Hortus Conclusus
wahrt wissen will, und aufzulösen, was sie
als nicht der ewigen Erhaltung würdig
empfindet.
.Was hierher gehört habe ich noch zu
allem Überfluß auch auf den letzten
Seiten des kleinen Bandes rhythmischer
Wortfügungen: „Leben im Licht” auf ein‐
fachste Form gebracht, und wenn ich an
gleicher Stelle vordem in zwei verschie‐
denen Bildern von der „Seele” spreche,
so wird man doch wohl jetzt begreifen,
daß von dem die Rede ist, was die Tier‐
seele der bleibenden Seele als Erinne‐
rungsgegenwart mitzuteilen vermag. Die
ewige Seele kann wahrhaftig nicht zu
einem „Stall”, oder einem faulichten
„Tümpel” werden, um als solcher in sich
selber zu verwesen. Durch ihre, während
eines Erdenlebens erfolgte Verbindung
mit einer tierischen Seele findet sie sich
jedoch gezwungen, aus der Tierseele auch
218 Hortus Conclusus
Empfindungseindrücke in sich aufnehmen
zu müssen, die leider mitunter nach weit
drastischeren Vergleichen rufen, als den
von mir zur Erläuterung gewählten...
.Es gibt „Tierschutzvereine”, die zu
verhindern suchen, daß Tiere unnötig zu
leiden haben, und solches Bestreben
ist gewiß aller Förderung wert. Nicht
weniger aber sollte der Mensch sein
Augenmerk auf den Schutz seiner eige‐
nen bleibenden Seele richten, die er vor
unsagbarer Last zu behüten vermag, von
der er erst selbst bedrückt sein wird, nach‐
dem sein Leibesleben ihm erloschen ist. ‒
219 Hortus Conclusus
VON ARGER UNTERSCHÄTZUNG
Mögen auch Anhänger ehrwürdig alter
Religions-Systeme, denen der Erden‐
mensch nur aus dem sterblichen Leibe
und einer unsterblichen Seele zu „be‐
stehen” scheint, zur Not etwa zuzugeben
geneigt sein, daß sich ein Seelisches, dem
der Tiere gleich, in ihren Selbstbekun‐
dungen während des Erdenlebens zur
Auswirkung bringe, so darf man doch
sicher damit rechnen, daß die allenfalls
Zustimmungsbereiten diesen Auswirkun‐
gen eine obere Äußerungsgrenze anwei‐
sen, die ‒ in der Wirklichkeit ‒ kaum
deren niederste Auswirkungszone gänz‐
lich umfaßt. Alles Höhere rechnen sie
bereits ihrer ewigen Seele zu, in der
sicheren Meinung, es könne nur unbe‐
deutend Niederes Ausdruck eines zeitlich
bedingten Lebenskomplexes sein, der
selbst nur in Wahrheit ein Funktionser‐
gebnis vergänglichen irdischen Körper‐
223 Hortus Conclusus
lebens darstellt. Bis zu gewissem Grade
wird solche Auffassung allerdings dadurch
unterstützt, daß die Tierseele, wie schon
erörtert ist, im Erdenmenschen überaus
bedeutsame und sie in mancher Hinsicht
unvergleichlich Höherem als dem ihr Ge‐
mäßen zuführende Influenzen aus der
ewigen Seele empfängt. Einflüsse, die
dem Tiere niemals zuteil werden könn‐
ten! Es ist darum schwer geworden, mit
Gewissheit zu bestimmen, was noch der
erdenmenschlichen Tierseele zugeschrie‐
ben werden muß, und was ohne Frage
Auswirkung der bleibenden Seele ist.
Aber trotz allem darf man jederzeit sicher
sein, daß man die obere Grenze für das,
was aus der vergänglichen, irdisch-tier‐
haften Seele des der Erde verhafteten
Menschen stammt, garnicht hoch genug
ziehen kann! ‒ Die Einsiedlermönche
des Athos beweisen auf ihre Art unstrei‐
224 Hortus Conclusus
tig eine tiefe Erkenntnis, wenn sie alle
Arten der Gelehrsamkeit für unverein
bar mit echter Frömmigkeit, und für ein
Hindernis der Gottesschau erklären. Um
das aber recht zu verstehen, muß man
wissen, daß es sich bei diesen asketischen
Anachoreten keineswegs etwa um die all‐
bekannten Divergenzen zwischen Glau‐
ben und Wissen handelt, sondern um Ge
lehrsamkeit schlechthin, mag sie auch
„rechtgläubige” Theologie und vor allem
religiösen Zweifel gesicherte Schrift‐
kunde umfassen. Ihre Erkenntnis läßt
sie ‒ in freilich übersteigerter Folge‐
rung, ‒ einen ganz seiner ewigen Seele
lebenden Analphabeten weit höher ein‐
schätzen als einen mit allen verstandes‐
mäßig zu lösenden Fragen orthodoxer
Theologie Vertrauten, denn sie wissen
sehr wohl, daß zwar auch dessen Verstand
sehr vieles den Influenzen der ewigen
225 Hortus Conclusus
Seele verdankt, daß aber sein gelehrtes
Erforschen die ewige Seele kaum be
nötigt....
.Vielleicht wird es manchen Leser die‐
ser Worte erschrecken, wenn er gewahr
wird, daß er, von allen Zweifeln unbe‐
rührt, vieles aus bestem Glauben seiner
bleibenden Seele zuzuschreiben gewohnt
war, was er nun ‒ wenn er der Wahrheit
die Ehre geben will ‒ hinfort seiner ver‐
gänglichen irdischen Tierseele dankbar
anrechnen muß. Es ist aber besser, ein‐
mal durch solches Erschrecken hindurch‐
zugehen, als sich dauernd in Träumen zu
gefallen, die der Wirklichkeit keineswegs
entsprechen und darum auch nichts
Wirkliches in dem Traumgefesselten zu
fördern vermögen. Nun ist es gewiß
nicht nötig, wie die strengsten Einsiedler
unter den Athosmönchen, sich nur dem
Empfinden der ewigen Seele hinzugeben
226 Hortus Conclusus
und in allem, was durch die Kräfte der
vergänglichen tiergemäßen Seele dem
Bewußtsein nahegebracht werden kann,
gleichsam „Schlingen der Hölle” zu ver‐
muten. Es ist sogar angebracht, der
Tierseele in sich mit aller Ehrfurcht zu
begegnen, und keineswegs gering zu
schätzen, was sie dem Erdenmenschen zu
vermitteln hat. Es ist jedoch anzustreben,
daß die tierhafte Seele gänzlich dem
Dienste der ewigen Seele unterstellt
wird, denn sie kann in solchem Dienste
der ewigen Seele Werk in kaum vorstell‐
barer Weise fördern. Ist auch die Tier‐
seele nicht, gleich der bleibenden Seele,
seiner selbst bewußter Erlebensraum
eines individualisierten ewigen Geistes‐
funkens, ‒ offenbart sie sich auch nicht
in einer empfindbaren Form aus höchsten
lichtempfänglichen Urseinskräften, ‒ so
ist sie dennoch sekundäre Auswirkung
227 Hortus Conclusus
des Urseins, wenn auch in seiner licht
fernsten, nur blind schöpfungsträchtigen
Selbstdarstellung aus der alles Gestaltete
im Weltall seine Gestaltung fand und fin‐
det. Ehrfurcht ist hier wahrhaftig wohl‐
angebracht, und jede Unterschätzung muß
unerwünschte Folgen schaffen!
.Gewiß ist es dem eine ewige Seele
Glaubenden oder vermeintlich schon Er‐
fühlenden wenig erwünscht, zu hören,
daß auch die höchsten Resultate mensch‐
lichen Denkens ‒ mag sich dieses Denken
auf das beziehen, was man „Philoso‐
phie” zu nennen pflegt, auf Religion,
Mathematik oder irgendwelche Gebiete
der höchstentwickelten Technik mit Ein‐
schluß der Chemie und aller ärztlichen
Forschung ‒ durchaus zustandekommen
können ohne die geringste Mitwirkung
der ewigen Seele. Noch schwerer aber
wird es ihm zu verstehen sein, daß auch
228 Hortus Conclusus
technisch hochbedeutsame Werke jeg‐
licher Kunst nur das Werk der im Men‐
schen zu höchster Entwicklung gelangten
Tierseele sind, auch wenn sie freilich auf
jeder technisch zu wertenden Höhe Aus
drucksgestaltungen der bleibenden Seele
werden können.... Es wird kaum mit
einem anderen Wort soviel Mißbrauch ge‐
trieben, wie mit dem Wort „Seele”, das
auch jeder als Bezeichnung für etwas dem
Tierhaften Überordnetes aufgenommen
wissen will, der sich aufs heftigste wehren
würde, wollte man von ihm erwarten, daß
er die bleibende Seele als Wirklichkeit
seinem erdachten Weltbild überzuordnen
wisse. ‒
229 Hortus Conclusus
ÜBER DIE ZWANGSLAGE
DER SEELSORGERSCHAFT
Von Zeit zu Zeit erreichen mich immer
wieder Briefe recht beachtlicher Kenner
meiner Bücher, die ihrer Empörung oder
Entrüstung Ausdruck geben zu müssen
meinen über irgendwelche geringschätzi‐
ge, dumme, oder auch kategorisch ableh‐
nende Äußerung eines ihnen bekannten
berufsmäßigen Religionsvertreters gegen‐
über meinen Schriften. Man läßt mir sol‐
che Mitteilungen zukommen in der Mei‐
nung, es sei mir sehr erwünscht, darum
zu wissen, damit ich mich derartiger Ab‐
schätzungen privatim oder öffentlich er‐
wehren könne. Solche Auffassung ent‐
stammt aber einem Optimismus, den ich
nicht teilen kann. Man macht sich nicht
klar, daß der Gemeindeleiter einer Reli‐
gionsgenossenschaft, mag ihm was immer
für ein historisch entstandener Titel ge‐
bühren und mag sich die Genossenschaft
auch lieber „Kirche” nennen und sich
233 Hortus Conclusus
mit gottverliehener geistiger Macht begabt
glauben, auf alle Fälle ein Beamter der
Glaubensgenossenschaft ist und als solcher
deren Interessen zu wahren hat. Es ist
aber keinem Kirchenbeamten und kei‐
nem, den Interessen einer Glaubensgenos‐
senschaft dienstbereiten Gelehrten zur
Pflicht gemacht, meine Schriften zu sei‐
nem eigenen Heil bedachtsam zu lesen.
Kommen sie ihm durch irgendeinen unvor‐
hergesehenen Umstand dennoch vielleicht
vor Augen, so ist es ihm gewiß nicht zu ver‐
übeln, wenn er sie mit vorgefaßtem Arg‐
wohn betrachtet. Je befangener, befürch‐
tender und darum oberflächlicher er ihren
Inhalt ansieht, desto gewisser wird er
glauben, dieser Inhalt bedrohe die Inter‐
essen der Genossenschaft, die ihm Amt,
Würde, Titel und Versorgung gibt, und
die schließlich doch auch eine Glaubens‐
lehre vertritt, die seiner Überzeugung
234 Hortus Conclusus
nach den ihr zugetanen Gläubigen das
ewige Seelenheil bringt. Kein Wunder,
wenn er die ihm anvertrauten Gläubigen
vor Mitteilungen behütet sehen will, die
da und dort anders klingen als der Wort
laut der Lehren, die er ihnen zu geben
hat. Ein solcher Gemeindeleiter, oder ein
solcher konfessionell gebundener Theo‐
loge müßte schon ein ganz außerordent‐
lich weitsichtiger und überaus urteilsreifer
Vertreter seines Berufes sein, wenn er
nach dem Lesen einiger meiner Schriften
erkennen sollte, um was es sich handelt,
und daß der Verbreitung und Bestätigung
des von ihm Geglaubten und seiner reli‐
giösen Überzeugung nach Richtigen keine
gewaltigere Hilfe zuteil werden könnte,
als sie ihr in dem Inhalt dieser Schriften
dargeboten wird. Fast alle diese von mir
durchaus nicht unterschätzten Seelsorger
sind aber innerlich unlösbar gebunden an
235 Hortus Conclusus
den ihnen vertrauten Wortlaut der ge‐
glaubten Lehren und nicht minder an die
Ausdeutung der Worte, die nun einmal
als klassische theologische Lehrmeinung
gilt. Wie sollte ich angesichts derart ab‐
weisender Meinungsgewißheit annehmen,
es bedürfe nur einer Aufklärung oder viel‐
leicht einer unwiderleglichen Zurechtwei‐
sung um die Befreiung eines derart Gefes‐
selten herbeizuführen? Kaum einer der
hier in Frage Kommenden ahnt ja, daß
er neben aller unanfechtbaren Wahrheit
auch recht bedenklichen Irrtum unter die
Leute bringt. Auf der anderen Seite aber
könnte es mir auf keinen Fall in den Sinn
kommen, „recht behalten” zu wollen,
denn was ich mitteile, ist keiner irdischen
Beurteilung ausgesetzt. Ich gebe Kunde
aus dem Ewigen, die nur einer geben
kann, der seinem geistigen Sein nach ur
gründig im Ewigen heimisch ist.
236 Hortus Conclusus
.Was aber die geschmähten „Geistlichen”
angeht, von denen man in reichlich naiver
Weise erwartet, sie müßten frohlockend
erkennen, was ihnen in meinen Schriften
dargeboten ist, so vergißt man, daß es sich
um Erdenmenschen handelt und daß der
„Geist”, dem sie sich übergeben haben,
Gehirngeist ist, auch wenn er sich mit
religiösen Problemen beschäftigt. Wie soll
man von Dienern des Gehirngeistes er‐
warten, daß sie zu erkennen vermöchten,
was aus ewigem Geiste stammt?! Aber es
liegt mir wahrhaftig ferne, den „Geist‐
lichen” der offiziellen Konfessionen auch
nur den leisesten Vorwurf zu machen. Die
ganze geistige Erziehung dieser Männer
war so geartet, daß ihnen unmöglich auch
nur der geringste Zweifel kommen konnte
an ihrer Geistverbundenheit. Wie sollten
sie jetzt, nach der Lektüre der Schriften
eines „Laien”, sich etwa überzeugt finden,
237 Hortus Conclusus
daß sie bisher einer Selbsttäuschung erle‐
gen waren?!
.Unmöglich kann ich mich auch dazu
verstehen, das Angestelltenverhältnis der
Seelsorger einer Glaubensgenossenschaft
für die intransigente Haltung gegenüber
meinem Verkündungswerk verantwortlich
zu machen. Bei aller Bestimmtheit der
Lehrverpflichtung besteht doch in der
Praxis keineswegs die enge, harte Kne‐
belung eigener Meinung, die der allem
Kirchlichen Fremde voraussetzt. Aller‐
dings gibt es auch unter den kirchlichen
Lehrbeamten genau die gleiche Aufgebla‐
senheit und engstirnige Überheblichkeit,
wie man sie innerhalb eines jeden anderen
Beamtenkörpers gelegentlich finden kann.
Trotzdem ich aber im Laufe meines Le‐
bens mit recht vielen ‒ nun einmal so
benannten ‒ „Geistlichen” der in Europa
zu findenden Religionsgenossenschaften in
238 Hortus Conclusus
menschlich nahe Berührung kam, bin ich
solcher pharisäischen Selbstgerechtigkeit
doch nur sehr selten begegnet. Hingegen
fand ich fast immer aufrichtigste Hingabe
an die übernommene Verantwortung für
das Heil der anvertrauten Seelen und eine
beträchtliche soziale Hilfsbereitschaft, so
daß ich das Lebenswerk der hier in Be‐
tracht kommenden Männer gewiß um
nichts weniger zu schätzen weiß, ob sie
sich nun meinen Bekundungen aus dem
Ewigen sympathisierend zugetan fühlen,
oder mißverstehend, aus ihrer Verantwor‐
tungsbedrängnis heraus, davor warnen zu
müssen meinen.
.Man irrt auch sehr, wenn man meint,
der Emanation des Ewigen, die in meinem
bloßen Dasein und zugleich in den durch
mich erdenmenschlich in Form gefaßten
Lehrworten vorliegt, schon verstehend zu
begegnen, solange man noch nicht einmal
239 Hortus Conclusus
versteht, daß ich keiner echten Religions‐
form die ich auf Erden vorfinde, ihr
Existenzrecht absprechen könnte. Auf der
anderen Seite sollte man freilich der Tat‐
sache bewußt sein, daß sich die ewigen
geistigen Mächte niemals der offiziel‐
len Leiter bestehender Religionsgenossen‐
schaften bedienten, sobald den einzelnen
Bereichen der Erdenmenschheit neue Ein‐
sicht in Ewiges aus dem Ewigen erwachsen
mußte. Die heute eine millionenreiche
Zahl von Gläubigen umfassenden Weltreli‐
gionen hatten ohne Ausnahme die erste An‐
regung zu ihrem Entstehen durch „Außen‐
seiter”, erhalten. Aus den Kreisen der
offiziell organisierten Priester, Prediger
und Seelenleiter gingen immer nur besten‐
falls „Reformatoren” des Bestehenden her‐
vor. ‒ Was ich in meinem irdischen Lehr‐
werk aus dem Ewigen gegeben habe und
den nach mir Kommenden hinterlasse, soll
240 Hortus Conclusus
aber weder religiöse Reformen bewirken,
noch zu neuen Religionsbildungen führen!
Ist es einmal dort, wo es nötig ist, seelisch
erfaßt, dann wird es vielmehr erst die
verborgene innerste Wahrheit aller aus
dem Ewigen her angeregten Religionen
ebenso erweisen, wie die Notwendigkeit
ihrer vom Ewigen her gewollten verschie‐
denen Formen, denen die irdischen Stifter
oder Begründer den erdenmenschlichen
Ausdruck geschaffen haben.
241 Hortus Conclusus
WIE EWIGES
SICH SELBST „NATÜRLICH” IST
Aus nicht wenigen der unerbetenen Zu‐
schriften, seit dem ersten Wort, das ich in
die Welt gab, mußte ich bis zum Über‐
druß entnehmen, daß man sich einen
zeitlichen Interpreten des Ewigen auf
dieser Erde, ahnungslos, unheimlich an‐
ders vorstellt, als er hier in Wirklichkeit
geistig möglich ist. Zu viel Vorstellungen
alter religiöser Romantik spuken in den
Köpfen und zu viel Flittergold umglitzert
seit Jahrtausenden oder doch manchen
Jahrhunderten die menschlichen Gestal‐
ten, die ihren zeitlichen irdischen Mit‐
menschen Führer in das Reich des
ewigen substantiellen Geistes zu sein
vermochten, als daß man, ‒ selbst noch
in heutigen Tagen, ‒ leicht auf das Lieb‐
gewordene zu verzichten bereit wäre um
des Wirklichen willen, das zu allen
Zeiten viel einfacher und erdfarbener
war, als es Phantastik und erregtes Be‐
245 Hortus Conclusus
dürfnis nach fabulierender Ausschmük‐
kung wahrhaben wollten. So wird es
denn auch selbst denen, für die meine
Schriften doch allein geschrieben sind, so
daß sie aus meinen Worten Leben und
Licht zu erlangen wußten, in Beglückung
und Dankbarkeit oft recht schwer, mich
schlecht und recht Mensch sein zu lassen
unter Menschen, und sie bedenken nicht,
daß wahrhaft Ewiges nur im wahrhaft
Natürlichen sich offenbaren kann, weil
es sich selbst als Ewiges „natürlich” ist.
Noch zu allen Zeiten war die große Geste
und das Bedürfnis nach Nimbus aller‐
sicherstes Kennzeichen für das, was am
Menschen nicht „echt” ist in sich selbst,
denn das Echte lebt nicht aus dem Ein‐
druck, den es auf Andere macht, sondern
aus seiner eigenen Echtheit.
.Die romantische Legendengestaltung,
die sich immer und überall dort einzu‐
246 Hortus Conclusus
wurzeln und emporzuranken wußte, wo
ein Mensch im Erdenleben war, der
seinen Mitmenschen Gewißheit zu brin‐
gen hatte über das, was in ihnen wirklich
„ewig” ist, weist wahrhaftig allenthalben
unzählige Verwachsungen und Narben tö‐
richter Verschneidungen auf, aber den‐
noch hat sie ihren hohen Wert, denn sie
bot Schutz für so manches Zeugnis aus
dem Ewigen, von dem ohne solche Über‐
wucherung heute keine Spur mehr im
Allbekannten der Menschheit erhalten
wäre. Weniger dankbar aber darf man
den pathetischen oder lyrisch ausschwei‐
fenden Biographen der aus ihrem eige‐
nen Ewigen sprechenden, oder auf irgend
einem geistigen Wege aus dem Ewigen
her inspirierten Verkünder sein, deren
Lehrgut unter so mancher Legendenüber‐
wachsung noch leidlich erhalten ist, denn
diesen Biographen hat man in Wahrheit
247 Hortus Conclusus
die Bilder zuzurechnen, die einfache und
natürliche Männer, denen das Ewige ihr
Eigenbewußtsein erhellte, zu phanta‐
stisch unnatürlichen, unwahren Gestalten
verzeichneten, weil die Darsteller ihre
üppige Phantasie nicht zu beherrschen
verstanden, und weder um das ihnen fer‐
ne Geheimnis des natürlich einfachen
Menschlichen, noch um die irdische Nähe
des Göttlichen wußten. ‒ Für jeden ein‐
zelnen Gläubigen, den vormals Übereifer
durch antinatürliche Übersteigerungen
und phantastische Zufügungen aus einer
naiv unkritischen Masse heraus zu ge‐
winnen verstand, müssen heute Tausende
ihren Glauben opfern, bis man unter‐
scheiden lernt, was einst lebendige Wirk‐
lichkeit war, und was exaltierter Be‐
kehrungsfanatismus danach gestalten zu
müssen meinte.
.Ich bin wahrhaftig aus meinem ir‐
248 Hortus Conclusus
dischen Blutserbe her nicht blasphemisch
genug veranlagt, um mit einer der hier
charakterisierten, in widernatürliches
Maß verzogenen Gestalten auch nur aus
fernster Ferne „verglichen” werden zu
wollen, und man ahnt gewiß nicht, wie
wenig ich Ausdrücke der Ehrerbietung
schätze, die in holder Verstiegenheit auf
mich umgemünzt werden, aber nur zu
deutlich ihre Herkunft aus Prägestätten
verraten, deren „Gold” von Grünspan
strotzt! Wo aber wirkliches Gold in Be‐
tracht kommt, dort zeigt mir die Prägung
‒ in jedem Einzelfall ‒ immer das Bild‐
nis eines Gott verbundenen, eines Gott
vereinten, oder eines Gott inbrünstig in
sich erfühlenden Menschen, das ich je‐
weils viel zu sehr verehre, als daß ich
zulassen könnte, wie man an seine natür‐
lichen Züge rührt, um eine „Ähnlich‐
keit” hineinzubringen, die weder durch
249 Hortus Conclusus
mich, noch durch den ehemals Darge‐
stellten Bestätigung findet. Im Ewigen
gibt es überdies keine Gleichförmigkeit
und keine Wiederholung! Stets ist es in
einmaliger Gestalt im Menschen dieser
Erde erschienen, und niemals würde es
sich selbst kopieren. Außerdem ist Ewi‐
ges in sich aller Ehrung entrückt, und wo
immer Menschen die Manifestation des
Göttlichen in einem ihrer Mitmenschen
zu „ehren” glaubten, dort haben sie
allein in Wahrheit ‒ sich selbst geehrt
und ihr eigenes Menschentum, das in
Einzelnen zu Zeiten Ewiges in sich zu tra‐
gen und seiner bewußt zu sein vermag.
.Ein humorloser Mensch zum Beispiel
ist gewiß niemals in Gottesnähe, wenn
er auch seiner Umgebung als reinster
Offenbarer des Göttlichen erscheinen
kann. Allzusehr ist der glückhafte Hu‐
mor wesentliche Eigenbestimmtheit des
250 Hortus Conclusus
Ewigen, als daß es sich in einem Erden‐
menschen offenbaren könnte, der ein
„Mißglückter” ist von Anbeginn, da er
aus Neigung zum Tristen und Trüben des
göttlichen Lachens nicht innezuwerden
vermag. ‒ (Allerdings hat diese Kompo‐
nente des Ewigen nichts mit Witz und
Spott zu tun, so sehr Witz und Spott auch
die körperliche Lachlust reizen können!)
Wenn man also glaubt, wer Gott zu kün‐
den wisse, müsse in ewigem Ernst er‐
schauern, dann ist man einfach im Irrtum.
Es lohnt sich sehr, diesen Irrtum als sol‐
chen in sich erkennen zu lernen! Wil‐
helm Busch war noch trotz aller Neigung
zu schadenfroher Boshaftigkeit wahrhaftig
dem Ewigen näher als der von ihm ver‐
spottete versuchungsbedrängte Einsiedler
der Thebais... *)
.*) Über Buschs Verwechslung des Eremiten mit dem Heil‐ OO
igen von Padua siehe: „Briefe an Einen und Viele”!
251 Hortus Conclusus
.Außerdem ist jeder echte Gotteskünder
ein Kind seiner Zeit gewesen, ‒ sprach
in ihrer Sprache, trug ihre Sorgen, klei‐
dete sich in der Kleidungsweise seines
Landes, aß und trank mit Allen, was lan‐
desüblich war, ohne sich einer Sünde zu
fürchten, wenn er in seinem irdischen
Körper Körperliches kraftvoll empfin‐
dend erlebte. Alles, was an alten Kunden
anders klingt, ist Zutat schwärmerischer
Zugetaner, die auf solche Weise dem
ihrem Erfassen entrückten Gegenstand
ihrer Verehrung den Nimbus des Über
Natürlichen zu schaffen suchten, da sie
von der Natürlichkeit des Göttlichen
nichts wußten. Sie ahnten nicht, daß ihr
vermeintliches „Übernatürliches” nur die
Erfindung und Ausflucht ihrer eigenen
Unnatürlichkeit war, da auch das Über‐
Irdische nur der Natürlichkeit erfaßbar
werden kann!
252 Hortus Conclusus
.So möge man denn verstehen lernen,
daß ich zwar Außer-Gewöhnliches voraus‐
setzen muß und von Über-Erdenhaftem
zu sprechen habe, daß mir aber das
Ewige aus dem ich durch mein Irdisches
Kunde gebe, mein Aller-Natürlichstes
ist! Und schließlich meinen ja auch
meine Mitmenschen, wenn sie ‒ so an‐
gelernt ‒ von „Übernatürlichem” reden,
in Wahrheit das Über-Irdische, das mir
natürlicher Lebensraum, ebenso wie das
von mir nach keiner Weise hin verneinte,
vom Ewigen her geliebte Irdische ist.
Ich weiß gewiß, daß die mir aus dem
Urewigen erwachsene Bewußtseins-Situ‐
ation: ‒ im ewigen Urlicht, im ewigen
Geistesmenschen, wie im zeitlich ver
gänglichen tierverbundenen Erdenmen
schentum, ‒ meinen Mitmenschen hier
auf der Erde als etwas Befremdliches er‐
scheint, da ihnen solche Situation im
253 Hortus Conclusus
eigenen Bewußtsein unbekannt ist, und
sie im guten Glauben einander seit Jahr‐
tausenden sich gegenseitig zu überzeugen
suchten, daß nur ein „Übernatürliches”
imstande sein könne, zugleich im Ir‐
dischen und im Ewigen bewußterweise
zu leben. Mir selbst wurde es von mei‐
nem Irdischen her durchaus nicht leicht
gemacht, meine urgegebene Bewußtseins‐
Situation auch im irdischen Gehirnver‐
stande verstehen zu lernen, und es ver‐
geht heute noch kein Tag, an dem ich
nicht aus dem Ewigen in meinem Irdi‐
schen dazu zu erfahren hätte. Als harte,
aber nötige Erschwerung hatte ich von
Jugend auf eine mir irdisch angeborene
bis zum Äußersten aktive Selbstkritik
und eine mich schon in meinem aner‐
zogenen Kinderglauben schwer bedrän‐
gende Neigung zu unerbittlicher Skepsis
zu überwinden. Dazu kam dann, ‒ aller‐
254 Hortus Conclusus
dings wie Befreiung, ‒ späterhin der Ein‐
blick in alle irdisch begründeten, im
allgemeinen wissenschaftlichen Gebrauch
„psychisch” genannten Vorgänge, die zu
irrigen Deutungen im gehirnlichen Be‐
wußtsein Anlaß werden können und
selbst jene noch in Bann zu ziehen ver‐
mögen, die Verdienste darum haben, das
versteckte Geschehen aufzuzeigen. Ich
bin also wahrhaftig aus eigener Erfahrung
imstande, für jedes Verhalten meiner
Verkündung gegenüber wie für jede ir‐
rige Beurteilung meiner selbst, alles er‐
denkliche Verständnis aufzubringen. Aber
gerade darum bin ich auch dem Abwei‐
sendsten unter meinen irdischen Mit‐
menschen ‒ im Ewigenkein Fremder!
Vielleicht ‒ bin ich ihm viel näher, als sein
irdisches Bewußtsein ahnt? ‒
.Doch die „Natürlichkeit” des Ewigen
ist keineswegs gleichbedeutend mit Form
255 Hortus Conclusus
losigkeit, und jeder, dem es gleich gilt,
ob er die Form ‒ wo immer es sei ‒ er‐
füllt oder verletzt, muß sich klar darüber
werden, daß er sich damit selbst allem
wirklichen Ewigen gegenüber isoliert,
das Form auf allen Wegen will, und nur
denen sich in ihrem Innersten offenbart,
die sich im Innersten wie im Äußeren
zum Gefäß des Göttlichen zu formen
trachten.
256 Hortus Conclusus
ZUM
ABSCHLUSS UND ABSCHIED
Mit diesem Buche ist mein zeitliches
Lehrwerk beendet! Bald nach dem Beginn
des zwanzigsten Jahrhunderts in der Zeit‐
rechnung des Christentums habe ich die
ersten, meinem Gehirnverstande damals
zu eigen gewordenen Einsichten aus mei‐
nem Ewigen in Wortform zu fassen unter‐
nommen. Was ich so niedergelegt hatte,
blieb lange liegen, da ich vorerst nicht
entfernt daran dachte, es in meinen irdisch
mir zugemessenen Tagen selbst in die
Öffentlichkeit zu geben. Erst in den Jahren
1912 und 1913 entstanden an verschiede‐
nen Orten Griechenlands, bedingt durch
äußeres und inneres Erleben besonderer
Art, von dem ich innerhalb meines Lehr‐
werkes verschiedentlich berichte, die er‐
sten der nun vorliegenden Niederschriften,
nachdem ich mich allerdings im Jahre
1910 schon von der Notwendigkeit der
Selbstherausgabe zu irdischen Lebzeiten
259 Hortus Conclusus
überzeugt, und von da an die Gestaltung
einzelner Teilstücke vorbereitet hatte.
1913 ging dann von Athen aus ein solches,
dort von mir noch mehrfach redigiertes
Fragment in Druck. Heute, in den be‐
wegten Tagen des Jahres 1936, be‐
ende ich mein schriftliches Verkündungs‐
werk, das alles, aber auch nicht mehr
umfaßt, als was nach den letzten Wor‐
ten dieses Buches, ‒ das den Abschluß
der Schriftenreihe bildet, die „Das Buch
der Königlichen Kunst” an ihrem An‐
fang nennt, ‒ endgültig aufgezählt
werden wird.
.Nur die Abhandlungen über bildende
Kunst, die ich in dem Buche: „Das Reich
der Kunst” zusammengefaßt habe, sowie
die biographisch gemeinte kleine Schrift:
„In eigener Sache”, und das Bändchen:
„Aus meiner Malerwerkstatt”, das eben‐
falls in erster Linie biographisch ist, gehö‐
260 Hortus Conclusus
ren selbstverständlich nicht zu meinem
geistigen Lehrwerk, auch wenn sie seine
Spuren aufweisen. Das Gleiche gilt auch
von der Sammlung: „Okkulte Rätsel”.
Auch einzeln erschienene Abhandlungen,
soweit ich sie nicht bis heute in eines
meiner Bücher selbst aufgenommen habe,
sind ebensowenig meinem nun abge‐
schlossenen geistigen Lehrwerk beizu‐
zählen, obwohl sie durch diese Ausschei‐
dung keineswegs von mir nachträglich
entwertet werden sollen. Unter keinen
Umständen aber darf irgend eine Stelle
privater Briefe, die nicht von mir
selbst einem Buche der nun von mir
endgültig abgeschlossenen Lehrschriften‐
reihe eingefügt worden ist, jemals als
zu meinem Lehrwerk gehörig betrach‐
tet oder zur Ausdeutung einer Stelle
dieses Lehrwerkes herangezogen werden!
Ich kann für nichts Anderes ewige
261 Hortus Conclusus
Verantwortung übernehmen, als für
den heute vorliegenden Inhalt meiner
nachbenannten, öffentlich erschienenen
Schriften! Nicht von mir selbst veröffent
lichten Briefen gegenüber trage ich auch
dort, wo sie geistige Dinge berühren,
keine andere als die rein zeitlich bedingte,
allgemein menschliche Verantwortung, die
von keiner Äußerung etwa mehr verlangt,
als daß sie Ausdruck dessen sei, was ein
Mensch innerhalb seines Alltags, im Au‐
genblick und nur für den Augenblick
sagen zu müssen meint. Ich habe niemals
Briefe „für die Nachwelt” geschrieben,
sondern mich immer nur von meiner
Hilfsbereitschaft gegenüber dem jewei‐
ligen Adressaten leiten lassen, auch wenn
ich durchaus nicht wußte, ob er dieser
Hingabe wert war. An schwer zu ertragen‐
den Enttäuschungen hat es mir wahrhaftig
nicht gefehlt!
262 Hortus Conclusus
.Ich verpflichte mich übrigens durchaus
nicht, fortan kein Buch mehr erscheinen
zu lassen, einerlei, was etwa sein Inhalt
sein möge. Aber ich muß im voraus mich
dagegen verwahren, daß noch irgend eine
Schrift, zu der ich mich veranlaßt fühlen
sollte, meinem zum Abschluß gelangten
geistigen Lehrwerk zugezählt werde! Die‐
ser Abschluß entstammt keiner Willkür,
sondern der Forderung dessen, was hier
abgeschlossen wird.
.Die Schriftenreihe, in der dieses Lehr‐
werk nun endgültig vorliegt, wird aller‐
dings für jeden meiner Mitmenschen der
Anderes, als sein Ewiges finden will, ein
Hortus conclusus”: ‒ ein ihm verschlos‐
sener, streng umhüteter Garten bleiben,
auch wenn die schmale Pforte, die des
Gartens Zugang bildet, weit vor ihm geöff‐
net ist. Es liegt mir nichts ferner, als dem
Unerbetenen Einlaß zu erwirken, und
263 Hortus Conclusus
einzuführen, was draußen bleiben muß!
Um so lieber aber sende ich allen meine
Segenswünsche zu, die ihr Irdisches unbe‐
sorgt dort lassen, wo es hingehört, und in
meinem Lehrwerk nur ihr Ewiges suchen!
Ich gebe keine systematisierte Anweisung,
sondern lebendige Lehre! In den zwei‐
unddreißig Einzelschriften, die ebenso‐
viele Abschnitte meines geistigen Lehr‐
werkes bilden, ist alles enthalten, was der
Erdenmensch vom Ewigen und von den
Beziehungen wissen muß, die ihn selbst
mit dem Ewigen verbinden, wenn er Wert
darauf legt, in sich den Zugang zum Ewi‐
gen zu finden und dereinst zum Erleben
des Ewigen fähig zu werden. Die Gefahr
ist groß, derart im Erleben des vergäng
lichen Irdischen hängen zu bleiben, daß
die Fähigkeit, Ewiges zu erleben, niemals
erreicht werden kann. Nicht das Ewige
wird dadurch geschädigt, sondern der
264 Hortus Conclusus
irdische Mensch, der das, was in ihm
ewiger Natur ist, endgültig und unwie‐
derbringlich in aller Ahnungslosigkeit ver‐
liert. Unzählige solche Trennungen erden‐
menschlichen Bewußtseins vom latent ihm
zustehenden Ewigen ereignen sich Tag
um Tag, Stunde um Stunde. Damit mehr
gerettet werde als die Religionen heute
noch zu retten vermögen, ist mein schrift‐
liches Lehrwerk entstanden! Mein „Nach‐
folger”, ‒ ein Mensch in gleicher seelisch‐
geistiger Situation wie ich, und gleich mir
zu irdisch vernehmbarer Stimme des ewi‐
gen Urwortes bestimmt, ‒ wird sehr zahl
reiche Generationenreihen auf sich warten
sehen, und nicht eher auf Erden zu wei‐
terer Weisung des von mir gewiesenen
Weges erscheinen, als bis das, was in mei‐
nem nun abgeschlossenen Lehrwerk durch
mich ausgesprochen wurde, seelisches und
gehirnbewußtes Allgemeingut aller dem
265 Hortus Conclusus
Ewigen zustrebenden Menschen dieser
Erde geworden ist!
.Man empfängt aber das in meinen Wor‐
ten dargebotene geistige Leben nicht etwa
durch ein grübelndes oder mit sich selbst
und Anderen diskutierendes Überdenken
des verstandesmäßig wahrzunehmenden
Inhaltes der einzelnen zweiunddreißig
Lehrstücke! Man muß sie vielmehr, ‒
frei von aller Grübelsucht, ‒ aufnahme‐
willig so auf sich einwirken lassen, wie sie
nun einmal von mir geformt sind, damit
man das in ihnen dargebotene, im Ewigen
gründende Leben überhaupt gewahrwer
den und empfinden lernt. Wer dieses,
mein eigenes geistiges Leben einmal in
meinen Worten wahrgenommen, dann in
sich empfunden und aufgenommen hat,
der ist von allem Zweifel erlöst, den die
Furcht vor Fehlschlüssen über jeden ver‐
hängt, der sein irdisches Denkvermögen
266 Hortus Conclusus
dazu mißbraucht, um sich Wege aus Ge
dankenschotter zu konstruieren, im Wahn,
auf ihnen zur ewigen Wirklichkeit ge‐
langen zu können.
267 Hortus Conclusus
ENDE

Das geistige Lehrwerk von Bô Yin Râ,
besteht aus folgenden 32 Büchern:
DAS BUCH DER KÖNIGLICHEN
KUNST
DAS BUCH
VOM LEBENDIGEN GOTT
DAS BUCH
VOM JENSEITS
DAS BUCH
VOM MENSCHEN
DAS BUCH
VOM GLÜCK
DER WEG ZU GOTT
DAS BUCH DER LIEBE
DAS BUCH DES TROSTES
DAS BUCH DER GESPRÄCHE
DAS GEHEIMNIS
DIE WEISHEIT DES JOHANNES
WEGWEISER
DAS GESPENST DER FREIHEIT
DER WEG MEINER SCHÜLER
DAS MYSTERIUM VON GOLGATHA
KULTMAGIE UND MYTHOS
DER SINN DES DASEINS
MEHR LICHT
DAS HOHE ZIEL
AUFERSTEHUNG
WELTEN
PSALMEN
DIE EHE
DAS GEBET / SO SOLLT IHR BETEN
GEIST UND FORM
FUNKEN / MANTRA PRAXIS
WORTE DES LEBENS
ÜBER DEM ALLTAG
EWIGE WIRKLICHKEIT
LEBEN IM LICHT
BRIEFE AN EINEN UND VIELE
HORTUS CONCLUSUS
Nicht zu dem geistigen Lehrwerk gehörig, wenn auch
aufs engste daran anschliessend:
IN EIGENER SACHE
DAS REICH DER KUNST
OKKULTE RÄTSEL
AUS MEINER MALERWERKSTATT
KODIZILL ZU MEINEM GEISTIGEN LEHRWERK
MARGINALIEN
ÜBER DIE GOTTLOSIGKEIT
GEISTIGE RELATIONEN
MANCHERLEI
sowie die beiden Flugschriften:
ÜBER MEINE SCHRIFTEN
WARUM ICH MEINEN NAMEN FÜHRE
Postum herausgegeben:
NACHLESE
Gesammelte Prosa und Gedichte aus Zeitschriften
KOBER'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG AG.
ZÜRICH 48
Übersetzungen im Verlag
Ed. «La Balance», Paris
Holländische Übersetzungen im Verlag
Servire, Den Haag
Schwedische Übersetzungen im Verlag
Widiugs Förlags A. B., Stockholm
In der Kober'schen Verlagsbuchhandlung AG. Zürich
erschien 1954
BÔ YIN RÂ
LEBEN UND WERK
von Prof. Rudolf Schott
In Vorbereitung:
DER MALER BÔ YIN RÂ
von Prof. Rudolf Schott
Zweite, mit Text und Bildern erweiterte Auflage
DIE KOBER'SCHE
VERLAGSBUCHHANDLUNG AG.
ZÜRICH
ist Verlegerin und Besitzerin sämtlicher Schriften und
Verlagsrechte des Autors Bô Yin Râ. Seine Bücher sind durch
jede gute Buchhandlung zu beziehen. Wo die Bücher nicht auf
Lager sind, werden durch den Verlag bereitwilligst Buch‐
handlungen nachgewiesen, die in ihrem Sortiment diese Bücher
führen.