DER SINN
DES
DASEINS
Verlagslogo
1927
Kober'sche Verlagsbuchhandlung /Basel
UM DEN FORDERUNGEN DES URHEBERRECHTES
ZU ENTSPRECHEN, SEI HIER VERMERKT, DASS
ICH IM ZEITBEDINGTEN LEBEN DEN NAMEN
JOSEPH ANTON SCHNEIDERFRANKEN FÜHRE,
WIE ICH IN MEINEM EWIGEN GEISTIGEN SEIN
URBEDINGT BIN IN DEN DREI SILBEN:
BÔ YIN RÂ
BASEL 1927
COPYRIGHT BY KOBER'SCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG
INHALT Seite
Zuruf 7
Die Sünde der Väter 21
Das höchste Gut 37
Der «böse» Mensch 57
Bekundung der Lichtwelt 87
Bedeutung des Schweigens 105
Wahrheit und Wahrheiten 123
Beschluß 139
Originalscan
ZURUF
DU bist müde geworden vom vielen
Suchen, und nun bist du des
Suchens selber müde! ‒
.Da nirgends zu finden war, was
du suchtest, willst allem Suchen du
hinfort entsagen! ‒
.Das Land der Lebendigen woll‐
test du einst finden, und den Tempel
der Ewigkeit!
.Aber wohin auch immer du deine
Schritte lenken mochtest, dort war
König: ‒ der Tod, und jeder Tem‐
pel barg in seinem innersten geheimen
Schrein nur ein machtloses Götzen
bild...
.Wahrlich, mein Freund, du mußtest
müde werden bei solchem Suchen,
9 Der Sinn des Daseins
wie so viele Andere müde wurden,
die einst in Hoffen und Zuversicht
ausgezogen waren, gleich dir!
.Kein Tadel soll dich treffen, und
keine harte Rede darf dein Ohr er‐
schrecken, denn es war nicht deine
Schuld, die auf den Fahrten in die
Ferne dich nicht finden ließ, wonach
du doch so voller heißer Sehnsucht
suchtest! ‒ ‒
.Man hatte dir Wege gewiesen, die
man selbst niemals gegangen war!
.Man hatte dir verheißen, was man
selber nicht gefunden hatte!
.Man schickte dich auf Pfade aus,
die man selber längst verlassen mußte!
10 Der Sinn des Daseins
.Wie hätte dir da Erfüllung werden
sollen, wo Andere nur Enttäuschung
auf Enttäuschung erlebten, bis sie er‐
mattet ihre Schritte wieder rückwärts
lenkten, sofern sie jemals die dir be‐
zeichneten Wege selber eingeschlagen
hatten!? ‒
.Wie hättest du auf solchen Wegen
deines Sehnens Ziel jemals erreichen
können!? ‒
.Zürne aber denen nicht, die dir
Irrwege zeigten, denn sie wußten es
selbst nicht besser, da sie des rechten
Weges nicht kundig waren!
.Wenn sie dir sagten: ‒ «Dahin, du
Suchender, mußt du dich wenden!» ‒
oder: ‒ «Dort, o Strebender, ist dein
11 Der Sinn des Daseins
rechter Weg!» ‒ so meinten die Meisten,
sie hätten dir gut geraten...
.Auch wenn sie dir Wege wiesen, die
sie selbst enttäuscht verlassen hatten,
waren sie doch noch des Glaubens, dir
könnte vielleicht gelingen, was ihrer
eigenen Kraft einst mißlungen war...
.Hatte dich aber wirklich nur ein
machtbegehrlicher Phantast ge‐
täuscht, oder gar ein Schurke, der
sehr wohl wußte, daß er dir Wege des
Irrtums zeigte, ‒ dann danke dem Him‐
mel, wenn du nun solcher Hörigkeit
entronnen bist, aber ‒ werfe dich auch
da nicht zum Richter auf, denn der,
dem du das Urteil sprechen willst, ist
längst durch sein eigenes Tun ge‐
richtet! ‒ ‒
12 Der Sinn des Daseins
.Beklage auch nicht dein Schicksal,
weil es dich bisher noch nicht finden
ließ, und schmähe nicht etwa dich
selbst, weil du nun müde und ent‐
täuscht dich wieder an der gleichen
Stelle siehst von der du einst hoff‐
nungsfreudig vordem ausgegangen
warst! ‒
.Was soll dir Klage und Verwünschung
helfen?! ‒
.Wenn diese Worte dich erreichen,
dann hast du wahrhaftig auch keinerlei
Grund mehr, deinem bisherigen Irren
noch fernerhin zu fluchen!
.Siehe: ‒ dein Weg wird gesegnet
sein von diesem Tage an, und fürder
wird man dich nicht mehr auf Irr
tumswegen gewahren!
13 Der Sinn des Daseins
.Hier spricht nun ein Mensch zu dir,
der wahrlich weiß um den Weg zur
Wirklichkeit!
.Hier spricht ein Mensch zu dir, der
diesen Weg dir auch wirklich zeigen
kann und zeigen will, auf daß du end‐
lich das Ziel deiner Sehnsucht errei
chen mögest! ‒ ‒
.Folge mir, und mit jedem deiner
Schritte wirst du die Kraft in dir wach‐
sen fühlen, um bis zum Ziele auszu‐
harren.
.Nicht ich habe dich gesucht und
nicht mir hast du es zu danken, daß
du mich fandest!
.Dein eigenes Suchen, das so lange
Zeit irre Wege ging, ward endlich frei,
14 Der Sinn des Daseins
nachdem du es entlassen hattest, da
du seiner müde geworden warst...
.Nun frei geworden, läßt es dich
heute endlich entdecken, was dir vor‐
dem verborgen war...
.Es ist nur dein Sucherwille, der
mich finden mußte! ‒ ‒
.Nicht vergeblich war es, daß du
auf irreführenden Wegen vorher
suchtest! ‒
.Nicht vergeblich war es, daß du
Lehren folgtest, die dich nicht zum
Ziele bringen konnten! ‒
.Wo immer du suchen mochtest, ‒
stets schaffte dein Suchen deiner Kraft
des Suchens weitere Verstärkung, so,
15 Der Sinn des Daseins
wie elektrische Kraft auf dem Wege
durch die Drahtspirale sich verstärken
muß, ‒ und heute, da du nun mein‐
test, all dein Suchen sei nur der Ver
wünschung wert, wird dir endlich
zuteil, was du nicht mehr zu er
hoffen wagtest! ‒ ‒ ‒
.Dort, wo wir alle, die allhier auf
Erden leben, bewußt und nicht be
wußt, im gleichen Geistes-Leben
gründen, dort hat man deine Not er
schaut, und wußte, wie man sie wen
den könne...
.Ich bin dir nun gesandt, und du hast
mich gefunden, weil ich dir wirk
lich helfen kann und weil kein an
derer in diesen deinen Erdentagen dir
die gleiche Hilfe bringen könnte...
16 Der Sinn des Daseins
.Es liegt wahrhaftig nicht an mir, daß
dem so ist, ‒ doch kann ich auch
nicht ändern, was ich selber nicht ge‐
ordnet habe, und vergeblich würdest
du die hier gegebene Ordnung stören
wollen: ‒ vergeblich würdest du
nach anderer Hilfe Ausschau hal‐
ten...
.Nach mir hast du gerufen, ohne
mich zu kennen! ‒ ‒
.Mein Wort erreicht dich, ohne
daß ich von dir weiß! ‒ ‒
.Noch kannst du auch nicht wissen,
wer in diesen Worten zu dir redet,
und ich verarge es dir wahrlich nicht,
wenn du, nach mancherlei Enttäu‐
schung, und verbittert durch gar grau‐
17 Der Sinn des Daseins
same Erfahrung, noch ängstlich zauderst,
ob du meiner Stimme folgen sollst! ‒
.Einem Verirrten bist du gleich, der
irgendwo in dunkler Nacht den Ruf
des Wegekundigen hört und ihm zu‐
erst erschreckt mißtraut, voll Furcht
und Argwohn, da an gleicher Stätte
mancher Raub und Mord geschah...
.Auch ich würde sicherlich zau
dern, stünde ich an deiner Stelle!
.Doch siehe: ‒ ich erwarte ja nichts
anderes von dir, als daß du, stetig
deines Weges achtend, der Leuchte
folgst, die ich vor dir entzünde!
.Ich trage sie voran, so daß du
selbst gar leicht gewahren kannst, wo
hin ich dich führe. ‒
18 Der Sinn des Daseins
.Woher ich selber kundig bin
des rechten Weges, und warum
gerade ich allein ihn heute zeigen
kann, braucht vorerst dich in keiner
Weise zu bekümmern!
.Laß dir einstweilen genügen, daß
du alsbald gewahren wirst, wie ich
den Weg dir aus der Wirrnis bahne!
.Wie oft man dich auch betrogen
haben mag: ‒ diesmal wirst du wahr
lich nicht betrogen sein!
.Schon nach den ersten Schritten
wirst du entdecken, daß dir auf mei
nem Wege nie der Trug begegnen
kann!
.Bis heute konntest du dich noch
berechtigt wähnen, alle zu verlachen,
19 Der Sinn des Daseins
die dir sagen mochten, daß es einen
Menschen geben könne, wissend um
den Weg zur Wahrheit, und bereit,
dich diesen Weg zu führen...
.Heute aber bist du diesem Men
schen nun begegnet!
.Entscheide du selbst, ob du mir
Folge leisten willst!
Entscheide selber, ‒ denn nur auf
dich selber kommt es an, ‒ ob
es dir noch der Mühe lohnt, das
langerstrebte Hochziel
deiner Sehnsucht
endlich zu erreichen!
*           *
*
20 Der Sinn des Daseins
DIE SÜNDE DER VÄTER
WAHRLICH: ‒ du bist dir selber
ein Rätsel, das du noch nicht
lösen kannst!
.Zwar hat man dich belehrt von frü‐
her Jugend auf, und dir gesagt, wie
Andere voreinst das Rätsel lösten,
das sie in sich selber fanden, allein ‒
es kam für dich ein Tag, an dem dir
jede Antwort Anderer nur neue
Frage weckte in dir selbst...
.Du wolltest in dir selbst zum
Frieden kommen und wurdest immer
mehr gewahr, daß dir gar wenig dabei
helfen konnte, was einst Frühere be‐
friedigt hatte...
.Nun hast du ‒ müde und ver‐
zichtend ‒ aufgehört zu suchen nach
der Lösung deines Lebensrätsels...
23 Der Sinn des Daseins
.Nun bist du angelangt bei der ver‐
meintlichen Erkenntnis, daß deinen
Fragen hier auf dieser Erde niemals
eine Antwort werden könne: ‒ eine
Antwort, die zum Frieden führen
würde...
.Und doch, mein Freund, soll
dir wahrhaftig solche Antwort
werden!
.Ich will dir gerne zeigen, wie du
selbst dich dir enträtseln kannst!
.Um aber dahin zu gelangen, wirst
du erst begreifen lernen müssen, daß
rechte Antwort immer nur der rech
ten Fragestellung folgen kann, ‒ so
daß die Vielen die du klagen hörst,
daß ihnen niemals die erhoffte Ant
wort wurde, weit eher zu beklagen
24 Der Sinn des Daseins
hätten, daß sie nie die rechte Frage
stellung fanden. ‒ ‒
.Du bist verbittert, weil auch dir
bis heute nicht die langersehnte Ant‐
wort kam, ‒ doch nie hast du daran
gedacht dich selbst zu prüfen: ob du
recht zu fragen wüßtest! ‒
.Zwar hast du immer wieder bitter‐
lich erfahren müssen, daß alle Ant‐
wort Anderer dir keinen Frieden
bringen konnte, allein ‒ die falsche
Fragestellung dieser Anderen hast
du getrost und unbekümmert trotzdem
übernommen...
.Wie durftest du bei solcher Frage
stellung jemals hoffen, deine Antwort
zu erhalten?! ‒
25 Der Sinn des Daseins
.Wie konntest du dich in den Wahn
verspinnen, daß dieser Anderen Art
zu fragen dennoch eine Antwort in
dir wecken müsse, ‒ verschieden
von der Antwort, die sie selbst er‐
halten hatten, die aber dir Befriedigung
versagte?! ‒
.Siehe: ‒ es ist die Sünde deiner
Väter, mein Freund, die heute dich
nun leiden macht, und du nur kannst
deiner Väter Erlöser werden, ‒ du nur
kannst jetzt ihre Sünde tilgen! ‒ ‒
.Was deinen Vorvätern einst genügte,
um Zufriedenheit für sich zu haben,
das eben raubt dir heute deinen
Frieden!
.Auch deine Vorväter waren sich einst
zum Rätsel geworden, und so suchten
26 Der Sinn des Daseins
sie sich ihre Lösung: ‒ eine Lösung,
die dich binden sollte...
.Was sie für sich voreinst gefunden
hatten, wurde dein Erbe, und wurde
dir Anlaß zu neuer Frage.
.Aber zugleich auch wurde eine Art
der Fragestellung dir vererbt, die nie
mals dir die Antwort bringen kann, in
der sich jede deiner Fragen auflöst, wie
sich Morgennebel lösen in dem Licht
der Sonne...
.Willst du nicht ewig dir nun ein
Rätsel bleiben, so wirst du verzich
ten müssen auf ein Erbe, das dir nur
noch zum Verhängnis werden kann! ‒
.Du wirst dir selbst nun eine neue
Fragestellung schaffen müssen, und dei‐
27 Der Sinn des Daseins
ner Väter Antwort darf dir nicht mehr
Anlaß werden, Fragen aufzuwerfen, in
der Art, wie sie einst fragten! ‒
.Nicht eher findest du deinen in‐
neren Frieden, als bis du gelernt hast,
auch auf deine Art zu fragen! ‒ ‒
.So frage denn fortan nicht mehr
nach dem «Gotte der Väter», ‒ son‐
dern nach deinem, in dir leben
digen Gott! ‒ ‒
.Frage nicht mehr nach dem «Wert
des Lebens», sondern nach dem
Werte, den du deinem Leben geben
kannst! ‒ ‒
.Frage nicht mehr nach dem «Sinn
des Daseins», sondern frage dich, wie
28 Der Sinn des Daseins
dein Dasein durch dich selber Sinn
erhalten könne!? ‒
.Frage nicht mehr: ‒ «Was ist der
Mensch!» ‒ ‒ sondern stelle dir hin‐
fort die Frage, ob du selber bist,
was du sein kannst!? ‒
.Frage nicht mehr: ‒ «Gibt es eine
Seele?» ‒ sondern frage dich, was
an dir selber «Seele» ist, und wie
du dessen bewußt werden könn
test!? ‒
.Frage nicht mehr: ‒ «Gibt es ein
Leben nach dem Tode?» ‒ ‒ son‐
dern frage dich, was du in deinem
Erdenleben tun kannst, um bewuß
tes Weiterleben in der Ewigkeit
dir zu erringen!? ‒
29 Der Sinn des Daseins
.Frage nicht mehr: ‒ «Was ist Wahr
heit?» ‒ ‒ sondern frage, ob du
selbst wahrhaftig bist, und willens,
nichts in dir zu dulden, was dir
deine Wahrheit trüben könnte!? ‒
.Wenn du auf solche Art deine
Fragestellung formulierst, dann wird
dir gewiß auch auf jede deiner Fragen
eine Antwort zuteil, die dir den heiß‐
ersehnten inneren Frieden bringt. ‒
.Man hat nach gar vielem schon ge‐
fragt, das zu wissen wahrlich nicht
nötig ist...
.So hat man sich selber denn Ant
wort gesucht, die nur scheinbar «Ant‐
wort» war, und jede solche vermeint‐
30 Der Sinn des Daseins
liche Antwort mußte neue Frage
wecken, auch wenn sie erst in Spä
teren erwachte....
.Willst du in gleicher Weise weiter
fragen, so wirst du nicht nur dich
selbst stets vor neuen Fragen sehen,
sondern auch der Nachwelt so manche
Frage hinterlassen, gerade in dem, was
dir Antwort geben schien! ‒
.Sorge daher, daß jede Frage, die
dich etwa bedrängen mag, in dir auch
stets die rechte Fragestellung finde,
auf die dir deine, dich befriedigende
Antwort werden muß!
.Kein Anderer kann jemals dir
deine Antwort geben! ‒
31 Der Sinn des Daseins
.Nur als Erlebnis ist sie in dir zu
erlangen, und erleben kannst du sie
nur in dir selbst! ‒ ‒ ‒
.Alles, was man so gemeinhin „Ant
wortauf letzte Fragen nennt, ‒
sei es auch das Wort eines Menschen,
den die Nachgeborenen als einen „Gott”
verehren, ‒ weckt ständig wieder
neue Frage von Geschlecht zu Ge‐
schlecht. ‒ ‒
.Es kann dir solche „Antwort” besten‐
falls nur Anlaß werden, die Frage
stellung in dir selbst zu finden, die
wirklich Antwort im Erleben bringt! ‒
.Die Vorväter aber glaubten, ‒ und
sie glaubten solches in der Zeiten Folge
wahrlich gar oft, ‒ daß äußere Antwort
die sie selbst zufriedenstellte, nun‐
32 Der Sinn des Daseins
mehr letzte, unumstößliche Antwort
sei, so daß nur Toren oder Frevler
noch nach anderer Antwort fragen
könnten....
.Wohl mochten sie guten Glaubens
sein, der Nachwelt so ein Erbe des
Segens zu hinterlassen....
.Du aber, mein Freund, hast an dir
selbst genugsam nun erfahren müssen,
welcher arge Fluch auf solchem Erbe
lastet! ‒ ‒
.An dir ist es jetzt, diesen Fluch
aus der Welt zu schaffen!
.Du wirst ihn aber nur vernichten
können, wenn du die Lösung, die
einst deine Väter sich erfanden, um
sich zu enträtseln, nicht unbesehen
33 Der Sinn des Daseins
weitergibst, und auch von denen, die
an deinen Worten hängen, nicht etwa
verlangst, daß sie die Antwort, die dir
selbst geworden ist, als ihre Antwort
anerkennen! ‒ ‒
.Wenn du die Antwort in dir findest,
die dir selbst den Frieden bringt,
so nütze sie allein, um Anderen zu
helfen, ihrerseits auf rechte Weise in
sich selbst zu fragen!
.Schaffe dir selbst stets rechte Frage‐
stellung, auf die dir Antwort kommen
muß, die wahrlich für dich selber
unumstößlich ist, ‒ aber glaube
nicht, daß deine Antwort nur von
Anderen übernommen werden müsse,
damit sie fortan auch der Anderen
eigene Antwort sei! ‒
34 Der Sinn des Daseins
.Jeder, der heute mit dir hier auf
Erden lebt, und jeder, der später nach
dir kommt, wird für sich selber
rechte Fragestellung lernen müssen, und
nur im eigenen Erleben wird dann
jedem seine Antwort auf die letzten
Fragen seines Daseins faßbar wer‐
den! ‒ ‒
.Wer aber das Rätsel für sich löste,
das er sich selber vordem war, der
suche lediglich die Anderen zu warnen
vor dem Irrtum, als ob je ein Erden‐
mensch des anderen Lebensrätsel lösen
könne! ‒ ‒
Er wehre einzig dort, wo er Gefahr
gegeben sieht, daß Suchende sich
durch der Väter Erbe irren
lassen! ‒ ‒ ‒
*           *
*
35 Der Sinn des Daseins
DAS HÖCHSTE GUT
ES wird hier füglich nur von deinem
«höchsten Gute» nun die Rede
sein, denn nur was dein Besitz ist, ‒
was nur dir allein gehört und dir von
keinem anderen, wer er auch sei, jemals
genommen werden kann, ‒ ist wirk‐
lich höchstes Gut für dich!
.Du selbst bist dieses höchste Gut
in jenem Allerinnersten der Seele,
das nie ein Anderer berühren kann,
und das selbst dir nur im Erleben
sich bezeugt, da nie dein Denken es
be-greifen wird! ‒ ‒
.Du fühlst dich selbst als «Ich», ‒
jedoch du ahnst vielleicht noch nicht,
daß alles, was du in dir selbst bis
jetzt als «Ich» empfindest, nur wie ein
matter Abglanz in dir lichtet, ‒ aus‐
39 Der Sinn des Daseins
gesandt aus deinem eigentlichen Sein,
jedoch verdeckt und arg umdüstert
durch die Wolkennebel, die auch noch
dein klarstes Denken hinterläßt....
.In seltenen und weihevollen Augen‐
blicken nur dringt dieses wahre Sein
durch alles Trübe in dir selbst hindurch,
um dein Gehirnbewußtsein zu er‐
reichen, das es alsdann erschreckt ver‐
nimmt und wie das Allerfremdeste
empfindet!
.Dennoch aber ist nur dieses wahre
Sein, das du in solchen Augenblicken
plötzlich fühlst und dann als fremde,
hohe Macht dir deutest, in Wirklich‐
keit dein eigenster Besitz! ‒ ‒ ‒
.Was immer du sonst noch in dir zu
besitzen glaubst, kann dir zu jeder
40 Der Sinn des Daseins
Zeit genommen werden, ‒ gehört
dir nur für eine kurze Spanne dieser
Erdentage! ‒
.Nur dieses wahre Sein, seit aller
Ewigkeit im Geist durch Geist er
zeugt, bleibt dir durch alle Ewigkeit
erhalten, sobald es dein Bewußtsein
einmal in sich aufgenommen hat. ‒ ‒
.Aus diesen Worten schon wird dir
erfühlbar sein, daß dieses Eine nur
als «höchstes» Gut zu werten ist, ‒
wenn auch dein irdischer Verstand
sich noch gar mancherlei erdenken
mag, das er vielleicht als höchstes
Gut bewertet sehen möchte. ‒
.Noch aber weißt du nicht dein höch‐
stes Gut zu nützen!
41 Der Sinn des Daseins
.Du gleichst einem Reichen dieser
Erde, den man, aus grausam wahn‐
betörter Laune, ganz in Dürftigkeit
erziehen ließ, auf daß er nicht um
sein Besitztum wisse, und der nun
ahnungslos sein Brot erbettelt, dort,
wo er selber Herr des Bodens ist...
.Dein Dasein bleibt wahrhaftig «sinn
los», gibst du ihm selber nicht den
«Sinn»: ‒ daß es dein höchstes Gut
dir durch den Gegensatz des Schein‐
besitzes in der Scheinwelt erst er
kennbar werden lasse! ‒ ‒
.Nur mußt du freilich auch erkennen
lernen wollen, was dein Dasein dir
zu offenbaren hat!
.Du darfst nicht deinem Schein
besitz dich so verhaften, daß jede Sehn‐
42 Der Sinn des Daseins
sucht in dir schwindet, die in dir noch
jene Kräfte wecken könnte, deren du
bedarfst, willst du die Wolkennebel,
die dein irdisch dumpfes Denken
schuf, zum Weichen bringen, um end‐
lich das in dir zu fassen, was ewig
dir erhalten bleiben muß, sobald du
einmal dein Besitzrecht geltend mach‐
test! ‒ ‒
.Noch ist der «Brennpunkt» deines
Bewußtseins von dir nach außen
hin ver-rückt!
.Es sei deine Sorge, mein Freund,
ihn wieder dorthin zu rücken, wo
er vor Ewigkeiten war, und wo er
dann ewig in deinem Eigentum ver‐
bleiben wird! ‒
43 Der Sinn des Daseins
.Sobald du dieses Erdendasein einst
verlassen mußt, ‒ ob du auch noch
so fest an deinen Scheinbesitz dich
klammern magst, ‒ würde der «Brenn‐
punkt» deines Bewußtseins sonst im
ewig Leeren sein, und erst nach
qualvoll durchlebten Äonen könntest
du ihn endlich wieder in dir selber
finden. ‒ ‒ ‒
.Es ist viel leichter, als du glauben
wirst, auf dieser Erde noch zurück in
dein innerstes Sein zu gelangen, und
dort dich zu empfinden, wo du in
deinem ewig Eigenen bist!
.Noch ist dies ja nicht die einstige
«Gottvereinigung», ‒ aber eher
kannst du nicht dich selbst in Gott dem
Göttlichen vereint erleben, als bis
44 Der Sinn des Daseins
du vorerst in dir selbst bewußt ge‐
worden bist in deinem wahren
Sein! ‒ ‒
.Hierher: ‒ in dieses Aller
innerste, muß all dein Selbst-Be
wußtsein kehren, soll dein Dasein
durch dich selber seinen «Sinn» er‐
langen!
.Du wirst erreichen, wonach du
strebst, wenn du ‒ trotz aller Freude
an der Außenwelt ‒ stets die Emp‐
findung in dir wacherhalten kannst, daß
noch ein Anderes in dir lebt, das
alles überragt, was je im Äußeren dir
begegnen könnte, und daß du dieses
«Andere» selber bist! ‒
.Du bist nur ein «Anderes» gegen‐
über der Außenwelt, und ein «An
45 Der Sinn des Daseins
deres» als das, was du, ‒ in diese
Außenwelt verflochten, ‒ gemeinhin
für dich selber hältst!
.So, wie du heute noch «Ich» sagst,
und der Inhalt dieser Ich-Empfindung
ist bedingt nur durch Verwesliches,
so wirst du, ‒ hast du einst dein
Allerinnerstes im «Brennpunkt» deines
Selbst-Bewußtseins aufgefunden, ‒ in
gleicher Weise «Ich» zu sagen wissen,
und der Inhalt dieses, dir so neuen
«Ich» wird nur aus Unvergänglichem
bestehen, kaum noch gestreift von dem,
was hier auf Erden auch noch fürder‐
hin verweslich bleibt! ‒ ‒ ‒
.Nicht anders sagt auch der wahrhaft
Gottvereinte: «Ich», nur ist bei ihm
der Inhalt dieses «Ich» zugleich durch‐
46 Der Sinn des Daseins
leuchtet von der Gottheit Strahlen‐
licht, in dem das Unvergängliche des
Menschen aufglüht wie ein Edelstein
im Licht der Erdensonne...
.Laß dich nicht irreleiten durch Be‐
richte von Menschen, die in der Ek
stase sich mit Gott vereinigt wähnten,
da sie ihr eigenes Allerinnerstes nicht
auf die Weise, die sie übten, fassen
konnten und darum dieses Aller‐
innerste als außer sich empfanden!
.Sich selbst erschauten sie in ihrer
«Ekstasis» als ein zweites, und dieses,
ihnen Fremde, war für ihr Empfinden
so erhaben, daß sie es anders nicht
zu deuten wußten, und also glaubten,
daß die Gottheit selbst in sie her
abgestiegen sei. ‒ ‒
47 Der Sinn des Daseins
.Dergleichen Irrwahn war zu allen
Zeiten zu finden und unter allen
Völkern!
.Zahlreicher wie die Herbstzeitlosen
auf nassen Wiesen wachsen auch heute
noch in manchen Glaubenskreisen sol‐
che scheinbar «Begnadete» hervor,
und nur die wenigsten von ihnen finden
gelegentlich ihre Chronisten!
.Dir diene zur Richtschnur das gewisse
Wissen, daß da alle geistige Erfahrung,
die im Ewig-Wirklichen wahrhaft
begründet ist, stets nur erlebbar wird
in reiner «Ich»-Erfahrung!
.Sei hier gewarnt vor jedem unsicht‐
baren «Du», das dir vernehmbar werden
48 Der Sinn des Daseins
will, etwa als geistiger «Berater»,
oder gar als «Gottes Stimme»!
.Du darfst in allen Fällen ohne jede
Frage sicher sein, daß dir auf solche
Weise niemals Botschaft aus dem
Reich des reinen Geistes kommt!
.Ich will dich nicht in Angst vor
allem Unsichtbaren sehen, allein es
wird mir hier zur Pflicht, dich vor
Verderblichem zu warnen, und willst
du mehr von diesen Dingen wissen,
so wirst du noch gar manches Wort
in meinen Schriften finden, das dir
allhier von ferne nur Gezeigtes aus der
Nähe deutet. ‒
.Es genüge dir hier, wenn ich dir sage,
daß alles, was vom Geiste Gottes
kommt, nur zu dir eingeht durch dein
49 Der Sinn des Daseins
Allerinnerstes, und nur vernehmbar
wird aus deinem wahren «Ich» in
deinem ewigen Sein! ‒
.Du empfindest dann: ‒ «Ich weiß!
‒ aber nun weiß ich wahrlich auf
andere Weise, als ich jemals ehedem
aus mir selbst zu wissen vermochte!» ‒
.Es «spricht» etwas in dir, ‒ aber
stets wird dieses «Etwas» aus deinem
innersten wahren Sein zu dir reden,
und dein wirkliches «Ich» wird dir
vermitteln, was es im Geiste der
Ewigkeit empfängt....
.So nur kann dir aus dem Geiste
her auch die Ein-sicht mitgegeben
werden, derer du bedarfst, sobald du
Geistiges mit sicherer Gewißheit
unterscheiden lernen willst von den
50 Der Sinn des Daseins
Gebilden deiner stets gestaltungsfrohen
Phantasie....
.Nicht anders ergeht es auch dem
wahrhaft geistig Schauenden, wenn
echtes Geistiges sich bis zur Sicht
barkeit vor ihm verdichtet!
.Stets bleibt er aktiv in seinem
Schauen!
.Es werden die Gesichte ihm nicht
aufgedrängt, sobald sie wahrhaft aus
dem reinen Geiste stammen....
.Auch wenn er noch nicht die Macht
hat, in sich selber zu bestimmen,
was er erschauen will, so weiß dennoch
jeder, der im Geiste zu schauen ver
mag, daß ihm die Freiheit bleibt, die
Geistesbilder aufzunehmen, oder
51 Der Sinn des Daseins
aber, ‒ wenn er ihrer nicht bedarf,
‒ sogleich zu bewirken, daß sie vor
ihm verschwinden!
.Niemals kann eine bildhafte Ge‐
staltung, die im wesenhaften, reinen
Geiste gründet, den Menschen quasi
«verfolgen», ‒ niemals wird sie sich,
von dem Schauenden ungewollt, auch
dann noch zeigen, wenn er sein Augen‐
merk auf andere Dinge richtet!
.Wer sich bei seiner Schauung unter
einem Zwange fühlt, der darf ganz
sicher sein, daß das, was er etwa er‐
schaut, gewiß nicht aus dem Rei
che reinen, wesenhaften Geistes
stammt, ‒ mag es auch scheinen, als
könne es nur aus den höchsten Sphären
des Lichtes kommen! ‒ ‒
52 Der Sinn des Daseins
.Hier überschwemmt noch heute
folgenschwerer Irrtum die Welt, sowie
er noch heute fast jedes Zeugnis der
Wahrheit aus alter Zeit mit seinem
zähen Schlamme bedeckt.
.Einst wird man aufs neue entdecken,
daß die Alten doch nicht ganz im Aber‐
glauben waren, wenn sie von der
Möglichkeit des «Besessenseins»
sprachen, und so manche Lehre, die
auch heute noch in manchen Köpfen
spukt, wird dann mit Gewißheit als
Bekundung solcher «Besessenheit» sich
enthüllen lassen müssen! ‒
.Willst du, o Suchender, in dir zu
deinem höchsten Gute finden, so
mußt du immer wissen, daß es dir nur
in der Freiheit deiner Selbstbe
stimmung werden kann!
53 Der Sinn des Daseins
.Du kannst es suchen und endlich
in dir finden, doch du hast auch die
Freiheit, es nicht zu beachten!
.Wenn du jedoch entschlossen bist,
danach in dir zu suchen, dann halte
dich sorglichst frei von jeder Fesselung
durch jene dunklen Mächte, die stets
im Unsichtbaren lauern auf Gelegen‐
heit, sich eines Menschen Seelenkräfte,
zu versklaven
.Es sind Wesen aus dem Unsicht‐
baren dieser physischen Welt, und
alles was sie je an Wunderbarem zu
bewirken wissen, ist im Bereiche dieses
unsichtbaren Teils der Welt beschlossen.
.Aber jegliches Mittel ist ihnen recht,
das dazu dienen kann, einen Menschen
seelisch ‒ und gar oft auch mit seinen
54 Der Sinn des Daseins
physischen Kräften ‒ in ihre Willens
macht zu bringen...
.Halte dich ferne, wenn du da und
dort zu Zeiten sehen wirst, daß man
in dieser Außenwelt vor Unbegreif‐
lichem sich gläubig beugt, nur weil es
eben «unbegreiflich» ist, und wenn man
so aus äußerer Erfahrung schließt: all‐
hier bezeuge sich der wahre Geist der
Ewigkeit durch seltsam krauses «Wun‐
der»! ‒ ‒
.Nur in dir selbst wirst du, wenn
du dich selbst soweit zu fördern weißt,
das echte Wunder einst erleben! ‒
.Nur in dir selbst ‒ in deinem
Allerinnersten ‒ trägst du dein höch
stes Gut, das alles in sich schließt,
was dir zum Frieden dient! ‒ ‒
55 Der Sinn des Daseins
.Es ist in deine eigene Macht ge‐
geben, dein «Ich» aus der Empfindung
dieser Außenwelt zu nähren und in
solchem Schein-«Ich» zu beharren,
oder aber wahrhaft und für alle Ewig‐
keit in deinem höchsten Gute «Ich»
zu werden und zu bleiben. ‒ ‒
In diesem, deinem Erdendasein
schon kannst du dein «ewiges Leben»
finden, wie es dir alle wahren Weisen
immerdar verheißen haben, da sie selbst
es in sich selbst gefunden hatten, ‒
und wahrlich: ‒ deine Freude an
des Erdenlebens zeitlicher Be‐
glückung wird alsdann
erst ohne Reue
sein! ‒ ‒ ‒
*           *
*
56 Der Sinn des Daseins
DER «BÖSE» MENSCH
EINST war einer in alter Zeit, der
wußte nichts Besseres vom Men‐
schen zu sagen, als daß des Menschen
Trachten «böse» sei von Jugend auf.
.Du müßtest fürwahr aber schon ein
arg verbitterter Vater sein, wolltest du
solchem Worte deine Zustimmung
geben...
.Bist du selbst nicht «böse», so wirst
du gewiß in deinem Kinde auch das
«Gute» finden, und du wirst nicht
erst an-erziehen müssen, was schon
an-geboren ist. ‒
.Ja: ‒ du wirst vielleicht entdecken,
daß auch das vermeintlich «Böse» in
den Regungen der kindhaften Natur
gewiß nicht aus bösem Willen stammt
59 Der Sinn des Daseins
und sehr leicht andere Erklärung
findet!
.Willst du hier gerechtes Urteil fäl‐
len, so wirst du wahrlich Vorsicht
walten lassen müssen, und schwerlich
wirst du deinen Vor-urteilen trauen
dürfen!
.Töricht aber wäre es freilich, woll‐
test du das «Böse», wie es sich im
Menschen später zeigen kann, zu
leugnen suchen, oder leichthin über‐
sehen...
.Was aber ist dieses «Böse» anderes,
als die Entartung eines Triebes der
menschlichen Tiernatur!? ‒
.Du wirst gewiß nicht diesen Trieb
zur Selbsterhaltung, der erst ent
60 Der Sinn des Daseins
artet: Trieb zum Bösen wird, als
ursprünglich «böse» bezeichnen
wollen! ‒
.Auch in den anderen Tieren, die
du so peinlich von deinem Mensch
lich-Tierischen zu scheiden suchst,
glaubst du das «Böse» zu finden, weil
du eben doch deine eigene Tiernatur
in ihnen wiederentdeckst und dich
verführen lässest, deine eigenen Tat‐
motive in des Tieres Trieb zu über‐
tragen.
.Siehst du aber näher zu, dann wirst
du leicht dich davon überzeugen kön‐
nen, daß du zu Unrecht hier von
«Bösem» sprichst, da jener Trieb zur
Selbsterhaltung ‒ mag er sich auch
61 Der Sinn des Daseins
grausam äußern ‒ im Tiere keines‐
wegs entartet ist...
.Du wirst ihn in allen deinen Neben‐
tieren stets in sehr bestimmt gegebenen
Grenzen finden, die jeweils in der
Sonderart des einzelnen Tieres gründen.
.Nur der Mensch reißt seine, auch
ihm in seiner Tiernatur gebotene
Grenze zuweilen ein, und nur im
Menschen kann der Trieb zur Selbst‐
erhaltung schauerlich entarten! ‒ ‒
.Du siehst diesen Trieb dann gren‐
zen-los wuchern, genährt durch des
Menschen Phantasie, gemästet durch
seine Vorstellungskraft! ‒
.Wenn du dein Nebentier betrachtest,
wie es vor dem Fraße seine Beute
62 Der Sinn des Daseins
quält, dann bist du gar schnell ver‐
sucht, das Tun des Tieres als ein
Zeugnis seiner eingeborenen «Bosheit»
zu bewerten, und doch ist hier nur
Äußerung der Freude an dem Fraße,
Äußerung des Wohlgefühls, die Beute
nun in seiner Macht zu haben, und,
nicht zuletzt, auch Äußerung der Lösung
jener scharfen Spannung, die bei
dem Lauern auf die Beute sich ergeben
oder eine heiße Jagd befeuert hatte. ‒
.Du hast gehört von wilden Tieren,
die ungefährlich seien nach der
Sättigung, und wieder von anderen,
die auch gesättigt sich auf jedes Lebe‐
wesen stürzen.
.Doch, auch das Tier, das nur aus
reiner «Mordlust» wütet, wirst du ge‐
63 Der Sinn des Daseins
wiß nicht «böse» nennen dürfen, willst
du nicht das Empfindenkönnen deiner
Menschen-Seele fälschlich seiner
Tiernatur zu eigen glauben!
.Wohl spricht man mit Recht von
der «Seele» des Tieres, und diese
Art «Seele» west auch in dir, allein
sie ist nur fluidisch-physischer Natur
und darf nicht verwechselt werden mit
der ewigen Seele aus dem Ozean der
Seelenkräfte, die nur im Menschen
Tiere und neben dessen «Tierseele»
sich erlebt. ‒
.Nur durch die Kräfte der ewigen
Seele bist du befähigt, dich in das
mutmaßliche Empfinden eines anderen
Lebewesens zu «versetzen»! Nur
durch diese Kräfte bist du imstande,
64 Der Sinn des Daseins
mit zu leiden, wenn du ein anderes
Lebewesen leiden siehst!
.Dein Nebentier aber mag vielleicht
einem anderen Nebentiere helfen,
wenn es bemerkt, daß das andere hilfs‐
bedürftig ist, allein niemals wird es
das Leid des anderen Tieres mit
empfinden können.
.Es weiß nur: ‒ hier ist etwas von
meiner Art in Gefahr und sucht ‒
im besten Falle ‒ in dem anderen
Tiere seine Art zu retten.
.Auch erstaunliche Anhänglichkeit
ist in des Tieres «Seele» zu finden,
und ebenso Schreck oder Trauer, wenn
es das Nebentier leiden sieht, wobei
auch der Mensch ihm «Nebentier»
65 Der Sinn des Daseins
ist, ‒ aber niemals gleichschwingendes
Mitgefühl, so sehr auch der Mensch
geneigt ist, gewissen Tieren solches
zuzusprechen.
.Der Hund, der seinen Herrn ver‐
mißt und unruhig wird oder gar das
Fressen verweigert, handelt aus dump‐
fer Angst um das gewohnte Wesen,
dessen Willen zu fühlen ihm Wohltat
war, aber sein Verhalten ist nicht
bestimmt durch Mitgefühl, und braucht
sich nicht im mindesten zu unter‐
scheiden, ob nun sein Herr ihn ver‐
kaufte und sich des besten Wohlseins
erfreut, oder gestorben ist...
.So hat auch das «wilde» Tier, das
seine Beute quält, durchaus keine
Freude an dieser Qual des anderen
66 Der Sinn des Daseins
Tieres, denn Freude an der Qual eines
Anderen setzt immer ein Mitemp
findenkönnen voraus, auch wenn
dieses Mitempfinden als Lust, statt
als Leid zu Bewußtsein kommt. ‒ ‒
.Auch das Tier, das ‒ wie der
Mensch zu sagen pflegt ‒ aus reiner
«Mordlust» tötet, ist entweder nur
lüstern auf Blut, als einer begehrten
Art der Nahrung, oder aber sucht aus‐
zurotten, was ihm je gefährlich werden
könnte, und weiß oft auch nur seiner
Jagdlust nicht zu wehren, wenn es
die ihm genehme Beute wittert. ‒
.Du wirst auch das grimmigste Raub‐
tier niemals einer «bösen» Tat, ‒ nie‐
mals der Lust am «Bösen», ‒ nie‐
67 Der Sinn des Daseins
mals, im menschlichen Sinne, der
«Bosheit» beschuldigen dürfen!
.Aber auch der «boshafte» Mensch
ist zuweilen nur Sachwalter seines
Selbsterhaltungstriebes, oder des
Triebes zur Erhaltung der Art...
.Was dir dann als «boshaft» an ihm
erscheint, kann immer noch in jenen
Grenzen bleiben, die Natur dem Selbst‐
und dem Arterhaltungstriebe gezogen
hat...
.Erst dort, wo diese Grenzen durch
den Menschen eingerissen werden,
entartet solcher Trieb ins Fürchterliche!
.Dann wird er zum Triebe, anderes
zu zerstören aus Lust am Leide, das
dem anderen dadurch entsteht...
68 Der Sinn des Daseins
.Erst hier aber stehen wir wirklich
vor dem «Bösen»!
.Hier wird das «Böse» erst durch
den Menschen erzeugt! ‒ ‒
.Hier aber ist es auch schon erzeugt,
wenn es dem Augenschein nach außen
hin noch verborgen bleibt, denn im
Denken wird alles «Böse» gezeugt
und geboren!
.Als Gedanke ist es zuerst im Da‐
sein, bevor es ‒ weiterzeugend ‒
Wort und Tat gebären kann! ‒ ‒
.Siehe, das «Böse» ist wider die
Natur und wird ihr erst aufgezwungen
durch den Menschen! ‒ ‒
69 Der Sinn des Daseins
.Sobald der Trieb zur Selbsterhaltung
übermächtig werden und entarten
muß, weil ihm des Menschen Denken
alle Grenzen einreißt, die ihm auch
in Menschentiernatur gezogen sind,
muß aus ihm der Trieb zum «Bösen»
werden, der schließlich Lust am «Bö‐
sen» schafft, und Lust am Leiden
machen anderer! ‒ ‒
.Von allen sichtbaren Geschöpfen
ist es nur der Mensch allein, der
in der Sichtbarkeit das «Böse» erzeugt!
.Unter allen physisch-sinnlich faß‐
baren Wesen ist nur er allein dazu
befähigt, da er allein nur durch sein
Denken jene Grenzen niederreißen
kann, die in der Tiernatur den Selbst‐
erhaltungstrieb umdämmen! ‒ ‒
70 Der Sinn des Daseins
.Aber glaube nun nicht etwa, daß
alles «Böse» nur auf diese Welt der
Sichtbarkeit beschränkt, und nur im
menschlichen Aktionsbereich erzeug‐
bar sei!
.Verhängnisvoll könnte dir solcher
Glaube werden! ‒ ‒
.Hier mußt du deine Vorsicht auch
auf Unsichtbares erstrecken, denn
was dir an der Welt der Außendinge
sinnlich wahrnehmbar erscheint,
ist wahrlich nur der kleinste Teil
dieser Welt, und es wäre töricht, woll‐
test du den größeren ganz unbeachtet
lassen...
.Im Unsichtbaren dieser Außenwelt
ist nun gar mancherlei zu finden, was
71 Der Sinn des Daseins
du in gleicher Weise «böse» nennen
würdest, wie du auch vom «bösen»
Tiere redest, und doch ist hier wie
dort nur Selbst- und Arterhaltungs
trieb am Werke. ‒
.Anderes ist hier zugleich verborgen,
das mehr der Wut des Tieres hinter
Gitterstäben zu vergleichen wäre, ‒
der Wut des Tieres, das in die Frei‐
heit möchte, die es vor Augen sieht
und die ihm dennoch unerreichbar
bleibt...
.Endlich aber gibt es auch Wesen hier,
die, ganz auf gleiche Weise wie der
sichtbarliche Erdenmensch, die Gren
zen ihres Triebs zur Selbsterhaltung
niederreißen können durch ihr Den
ken, denn der Gedanke ist im Kos‐
72 Der Sinn des Daseins
mos keineswegs bedingt durch physi‐
sche Gehirne, wenn er auch dem
Menschentiere hier auf Erden nur
durch das Gehirn erfaßbar wird. ‒ ‒
.So wie der Erdenmensch, so zeugen
und gebären diese Wesen «Böses» im
Gedanken, aber da hier der Gedanke
frei ist von dem Widerstand, den seine
Transformation in Gehirnbewegung
beim Menschen findet, so wirkt er
auch mit unvergleichlich stärkerer
Gewalt sich aus, und es ist nicht zu
ermessen, welche Flut des Unheils
ständig solcherart in die Sichtbarkeit
strömt, dem Menschen dieser Erden‐
welt verborgen für sein Bewußtsein
und dennoch von ihm aufgenommen, ‒
zumeist ohne jede bewußte Gegen‐
wehr! ‒ ‒ ‒
73 Der Sinn des Daseins
.Preise dich glücklich, daß du
immerhin in dieser Sichtbarkeit um
mauert bist und dich ‒ sobald du
wirklich willst ‒ vor jener Flut der
«Bosheit» in deine eigene Höhe
retten kannst! ‒
.Hüte dich, selbst die Bresche
zu schlagen, durch die dich der giftige
Bosheits-Schlamm dieser Unsichtbaren
erreichen könnte! ‒ ‒
.Unwissentlich aber durchbricht
gar mancher die Ummauerung durch
seine eigenen Gedanken....
.Jeder Gedanke der «Bosheit», oder
des Hasses ‒ sei auch, deiner Meinung
nach, das Gehaßte noch so sehr des
Hassens «wert» ‒ liefert dich, ohne
74 Der Sinn des Daseins
dein Wissen, den Unholden aus dem
Unsichtbaren in die Gewalt! ‒ ‒
.Du hast sie alsdann gerufen, ‒
hast ihnen den Weg zu dir bereitet,
‒ und wahrlich: sie wissen ihre Ge‐
dankenkräfte bei dir einzunisten! ‒
.So sind Unzählige schon zu «Be
sessenen» geworden ohne es zu
ahnen, und jeder Erdentag schafft die‐
ser Zahl der Unglückseligen reichen
Zuwachs! ‒ ‒
.Bist du aber einmal in solche furcht‐
bare Gewalt geraten, dann kann dich
nichts anderes daraus befreien, als
deine entschlossene, absolute innere
Abkehr von jedem, auch dem
leisesten Gedanken des Hasses,
75 Der Sinn des Daseins
gegen wen und was er auch gerichtet
sei, ‒ deine entschiedene und durch
nichts beirrbare Weigerung, hinfort
noch eine Regung der «Bosheit» bei
dir zu dulden!
.Es gibt Lehren, die dir sagen wollen,
alles Böse sei nur leerer «Schein»,
denn alles im Kosmos «müsse» ja
unweigerlich gut sein, da es letzten
Endes doch Gott zum Urheber habe,
und aus Gott nur Gutes kommen könne.
.Das ist nun eine sehr oberfläch
liche Betrachtungsweise, auch wenn
sie für manche Menschen zur Ursache
einer recht optimistischen Lebensauf‐
fassung werden kann.
.Die Schnellbefriedigten und mit
ihrer vermeintlichen Erkenntnis so Zu‐
76 Der Sinn des Daseins
friedenen sind etwa Bergsteigern zu
vergleichen, die, in Unkenntnis der Ge‐
fahr, über eine Schneewächte schreiten,
die jeder erfahrene Kenner der Berge
meiden und in weitem Bogen umgehen
würde....
.Auch über die Schneewächte kann
schließlich einer zum Gipfel gelangen,
‒ falls er mehr «Glück wie Verstand»
hat, und die dünne Brücke nicht ein‐
bricht unter seiner Last....
.So ist auch in diesen hier gemeinten
Lehren ein klein wenig Wahrheit ver‐
steckt, und wer sie zu finden weiß, dem
mag sie immerhin als Brücke über die
finstere Schlucht der irdischen Daseins‐
rätsel dienen.
77 Der Sinn des Daseins
.Wahrheit in solchen Lehren ist:
daß alles Böse nur in einer Schein
welt erzeugt wird, ‒ sei es im Sicht
baren oder im Unsichtbaren, ‒
und aufhört zu bestehen, für jeden,
der diese Scheinwelten überschritten
hat....
.Willst du jedoch dergleichen billige
Lehren, so, wie sie gegeben wer
den, in der gemeinten wörtlichen
Bedeutung übernehmen, dann mußt du
folgerichtig alles, was auf Erden dich
umgibt, als bloßen «Schein» bezeich‐
nen ‒ mithin auch das «Gute» ‒,
wobei du kaum wirst leugnen wollen,
daß denn doch diese «Scheinwelt» dir
oft recht empfindlich fühlbar werden
kann, denn sie ist eben keineswegs un
wesentlicher Schein, ‒ ist durch
78 Der Sinn des Daseins
aus nicht nur ein unfühlbares «Nichts»,
‒ und ihr Bestehen oder Nicht‐
bestehen ist gewiß nicht bestimmt durch
deine Macht. ‒ ‒
.Lasse dich darum nicht betören durch
die Trugschlüsse solcher schnellfertigen
Pseudoerkenntnis, die deiner wahrlich
allzu unwürdig wäre!
.Es soll dir aber auch jede Lehre
als irrig gelten, die dir vom «Bösen»
spricht als von einem Erbe, das dir
auf Erden in deinem Körper un‐
entrinnbar zu eigen sei! ‒
.Wahrhaftig, ‒ du kannst gewiß den
Hang zum «Bösen» von deinen Vor‐
vätern her nun in deinem Blute tragen,
79 Der Sinn des Daseins
aber ‒ keineswegs ist etwa das «Böse»
dir natur-gemäß!
.Wie stark auch in dir die vielleicht
vererbte Lust am «Bösen» dich locken
mag: ‒ solange du deinen Willen
dieser Lust nicht verbindest, wird sie
nichts über dich vermögenl
.Wer zur Beute seiner im Blute
lockenden verderblichen Gelüste wird,
der hat törichtes Spiel mit sich selbst
getrieben und ist ferne dem Wissen
um seine eigene Kraft!
.Die Ahnen, deren Blut in dir kreist
und die vielleicht dieses Blut vormal
einst in sich selbst nicht zu bändigen
wußten, haben wahrhaftig keine Macht
über deinen Willen!
80 Der Sinn des Daseins
.Dein Wollen aber wird jetzt ganz
allein entscheiden, ob du dein Blut
beherrschen lernst, oder dich zu
seinem Sklaven erniedrigen lassen
magst! ‒ ‒
.Freilich wirst du hier auch wirklich
wollen müssen!
.Dein bloßer Wunsch vermag hier
wahrlich nichts! ‒
.Die meisten Menschen aber täuschen
sich selber, wenn sie von ihrem «Wil
len» reden, denn sie meinen entweder
ihre Wünsche, oder gar ihres Blutes
Gelüste, das durch den Willen über
wunden werden soll. ‒ ‒
.So mancher weiß kaum, wie er sich
belügt, wenn er sich sagt, er sei «zu
81 Der Sinn des Daseins
schwach», um den Gelüsten seines
Blutes Widerstand zu leisten, während
er doch in jeder dunklen Stunde sich
dabei ertappen könnte, wie er sich eben
dieser Lust, die er bekämpfen wollte,
erfreut, und sie recht eigentlich bei
sich hätschelt...
.Unzählige treiben frivoles Spiel mit
ihren Wünschen, obwohl sie sehr
genau wissen, daß dieser Wünsche end‐
liche Erfüllung nur im «Bösen» er‐
folgen kann...
.Dann aber, wenn aus Gelüste und
Wunsch das «Böse» erzeugt und Ur
sache böser Folge wurde, klagt man
sein «Schicksal» an und wird zum
Virtuosen in der kläglichen Kunst, die
82 Der Sinn des Daseins
eigene Schuld von sich auf Andere
abzuwälzen! ‒ ‒
.Es könnte mancher Mensch sich
ein anderes Schicksal schmieden,
wollte er nur der Lust, die ihn zum
«Bösen» drängt, von allem Anfang
an ‒ sobald sie ihm auch nur leise
fühlbar wird ‒ jedes Zugeständnis
verweigern! ‒
.Wenn das in der Vorstellung er‐
zeugte «Böse» schon die Tat gebären
will, dann ist die Kraft des Menschen
bereits gebrochen, ‒ dann ist der
Wille bereits mit dem «Bösen» ver
bündet!
.Zur Selbstqual wird dann der aus‐
sichtslose Widerstand!
83 Der Sinn des Daseins
.Die erste leise Regung zum «Bö‐
sen» mußt du erwürgen, bevor sie
zum Gefühl erstarkt oder gar Ge
danke wird!
.Wenn du in dir wachsam bleibst,
dann wird es dir leicht, dich vor
Gefahr zu schützen!
.Dir selbst mußt du vertrauen und
deiner eigenen Kraft, die stärker ist
als jede mögliche Versuchung! ‒ ‒
.Nicht umsonst ist dir diese Kraft
gegeben, und nur durch steten Ge
brauch kannst du sie verstärken,
falls sie dir noch nicht genügen sollte! ‒
.Vertraust du mutvoll dir selbst,
dann darfst du wahrlich auch auf hohe
Geisteshilfe hoffen!
84 Der Sinn des Daseins
Sie wird dir dann auf eine Weise
werden, die mit Sicherheit be‐
wirkt, daß du dir ‒
selber helfen
kannst! ‒ ‒ ‒
*           *
*
85 Der Sinn des Daseins
BEKUNDUNG DER LICHTWELT
GEWISS, mein Freund, sind jene
Augenblicke dir nicht völlig
fremd, in denen ‒ scheinbar ohne
allen Grund ‒ dich plötzlich und
auch wohl inmitten vieler Menschen,
eine seltsame Empfindung grenzen
loser Fremdheit gegenüber deiner
Umwelt packte, zugleich mit dem Er‐
wachen einer unnennbaren Sehnsucht,
die oft stundenlang noch in dir weiter
wirkte. ‒
.Suchst du dich dieser Sehnsucht zu
erinnern, so wirst du heute mir zu
sagen haben:
.«Es war Sehnsucht nach er
ahnter, unerfaßlich ferner Heimat
meiner Seele
89 Der Sinn des Daseins
.«Es war Sehnsucht nach Ver
einigung mit lichten Wesen, die
mein Innerstes erfühlen und ver
stehen könnten
.«Es war wohldas Ersehnen
eines unbekannten hohen Glük
kes, das mir dennoch wunderbar
vertraut erschien
.Vielleicht war in dir auch ein Er
staunen über dein Erleben, denn du
wußtest dir nicht zu erklären, wo es
begründet sein könnte...
.Dort, wo du im Augenblick dich
verflochten fandest mit der Außenwelt,
war Ursache nicht zu finden.
90 Der Sinn des Daseins
.Weiter jedoch wolltest du dich
nicht wagen, da du nicht enden woll‐
test im Aberglauben. ‒
.So nanntest du dein Erleben: «eine
seltsame Stimmung», ‒ und dein
Sinnen ward müde des Suchens nach
Erklärung.
.Dennoch war wahrlich Grund vor‐
handen, nach so sonderbaren Erlebens
Ursache zu forschen, und hättest du
weiter suchen wollen, so würdest du
endlich auch gefunden haben, daß dein
Empfinden sich ergab aus unbewuß
ter Berührung mit einer dir un
sichtbaren Welt. ‒ ‒ ‒
.Du hattest nichts anderes erlebt als
eine wahrhaftige Bekundung der
Welt des Lichtes, mitten in deinem
91 Der Sinn des Daseins
Erdendasein, und es erschien dir
plötzlich alles allhier Gewohnte selt‐
sam «fremd», weil du einen Augenblick
lang überlichtet wurdest aus jenem
Lichtreiche, das die wahre Heimat
deiner Seele ist. ‒ ‒ ‒
.So mußte dich auch jene Sehn
sucht packen, da du in der Berührung
beider Welten unbewußt erfühltest,
daß die Außenwelt der Erde dir nur
wohlvertraute «Fremde» ist. ‒ ‒ ‒
.Ich rate dir: Achte hinfort auf
solche Augenblicke und nimm dank‐
bar an, was sie dir bringen!
.In diesen Augenblicken birgt sich
wundersame Macht, und sie können
92 Der Sinn des Daseins
großen Einfluß auf dein Leben ge‐
winnen
.Es kann sich Wesentlichstes in dir
wandeln, wenn du willig dich zu ihren
Wundern wendest! ‒
.Und wenn du dessen achten magst,
so wirst du bald gewahren, daß solche
Augenblicke stets in ganz bestimm
ten Zeitenfolgen wiederkehren! ‒
.Du wirst jedoch dann auch bemerken,
daß diese Zeitenfolgen immer kürzer
werden, je höher du zu werten weißt,
was die Berührung beider Welten dir
zu geben hat! ‒ ‒
.Viele suchen die Welt des Lichtes
zu erspähen und finden sie nicht.
93 Der Sinn des Daseins
.Hier aber kann jeder ihre Be‐
kundung erfahren, und diese Erfahrung
wird jedem, ob er sie auch niemals
suchen mag!
.Es meint nur mancher: ‒ was es
hier zu erleben gäbe, sei doch für ihn
zu unbedeutsam, da nach seiner
Vorstellung die Welt des Lichtes sich
in strahlend heller Klarheit offenbaren
müsse, solle er sie anerkennen...
.Sie soll sich gleichsam nach seiner
Vorschrift bekunden. ‒
.So hindert dann Überschwäng
lichkeit der Vorstellung, daß man
auf die leisen Regungen des Herzens
hört, die allein dem mit der Welt des
Lichtes noch nicht Vertrauten ihre
Bekundung bringen könnten! ‒
94 Der Sinn des Daseins
.Wunderliche Fabelei ist überall im
Schwange, und Ausgeburten irren
Wahns betören die Gemüter, so daß
es wahrlich «kein Wunder» ist, wenn
so wenige wissen von der Welt des
Lichtes, obwohl sie immerfort sich
ihnen bezeugt. ‒ ‒
.Man will nicht wahrhaben, daß
das Ewige sich so einfach erweist!
.Man möchte magischer Gewalten
Wirken bebend und erschauernd
«außer sich» erleben und findet nur
ein fernes Ahnen wundersamer Weihe
unfaßbarer Überwelt...
.Wenn du aber wirklich «wissend»
werden willst, so wirst du achten müssen
95 Der Sinn des Daseins
auf die zarten Zeichen, die dein Inner‐
stes empfängt!
.Die Welt des Lichtes ist dir nahe
wie die Welt der Außendinge, ‒ doch,
sie wird sich nimmermehr bekunden
können, wenn du dein Empfinden nicht
dazu erziehen willst, das feine Fluidum
zu fassen, das ihr Substanz und Lebens‐
odem ist. ‒ ‒
.Berührung beider Welten wird
allein bewirkt durch Wahrnehmung
der Schwingung wesenhafter Gei
stes-Licht-Substanz in deinem Be‐
wußtsein, auch wenn du nicht zu
deuten weißt, was dir bewußt ge‐
worden ist...
.Gewiß gibt es dann auch noch
Anderes, was weitaus deutlicher
96 Der Sinn des Daseins
in dir Erlebnis werden will, ‒ allein:
du wirst stets vor der Pforte des Er‐
lebens stehen bleiben, wenn du nicht
auf die hier gemeinten, leisen Regungen
in dir zu lauschen weißt!
.Sie können dir an allen Orten wer‐
den und in jeglicher Gemütsverfassung,
wenn du auf sie achten willst.
.Im dunkelsten Leid, wie im strah‐
lendsten Glücke kannst du sie erfah‐
ren, ‒ inmitten des Weltgetriebes,
wie in stillster Einsamkeit...
.Am Strande wildbewegten Meeres,
wie auf Bergeshöhen, ‒ in Feld und
Wald, wie in verschlossener Kammer...
.Ein Werk der Kunst kann dir zum
Anlaß werden, in dir selbst die Licht‐
97 Der Sinn des Daseins
welt zu berühren, und das kleinste
Wunder der Natur kann dich dazu
gelangen lassen...
.Du mußt nicht erst suchen, um den
rechten Ort zu finden, und keine Vor‐
bereitung ist vonnöten!
.Dagegen wirst du gut tun, stets auf
einer Höhe dich zu halten, die dich
mit Recht das Heilige erhoffen heißt! ‒
.Du sollst die Außenwelt, mit wachen
Sinnen, freudig, als das hier auf dieser
Erde dir Gegebene, verbrauchen, ‒
aber: sei auf deiner Hut, damit du dich
nicht in die Außenwelt ver-hängst
und so dir selber zum «Verhängnis»
wirst! ‒
98 Der Sinn des Daseins
.Was du auch in der Außenwelt er‐
leben magst, ‒ stets mußt du Herr
deines Erlebens bleiben! ‒ ‒
.Laß dich nicht fangen in den Fallen
falscher Freiheitstriebe, wie man Vögel
fängt mit Vogelfutter vor gespannten
Netzen!
.Nicht alles, was du dir erlaubst, ist
dir erlaubt! ‒
.Du kannst nicht den «Kontakt» er‐
reichen mit der Welt des Lichtes,
wenn du, dauernd in Verweslichem
verwühlt, dein Wohlsein suchst! ‒ ‒
.Was reiner ist als alles Reine dieser
Erdenwelt, kann nicht sich mischen
mit dem Moderstaub der Finsternis.
99 Der Sinn des Daseins
.Auch kannst du nicht die Lichtwelt
fassen, wenn sie deine Außenwelt be‐
rührt, solange du geblendet bleibst
durch trügerisches Flacker-Licht, und
Erdenwerte über ihren Wert verehrst,
die wertlos werden, wenn dereinst die
Bande brechen, die dich an das Feste
dieser Erde fesseln! ‒ ‒
.So fest auch Erdenfessel dich um‐
fassen mag, so bleibst du doch, in
aller Bindung, frei zu weiser
Wahl! ‒
.Du wirst von beiden Möglich
keiten, die dir jeweils offenstehen in be‐
stimmter irdischer Verflechtung, ferner‐
hin stets jene wählen lernen, die dich
höher führt, und meiden müssen, was
dich hindert, dich auf deiner Höhe
zu erhalten! ‒ ‒
100 Der Sinn des Daseins
.Bist du nur etwas wachsam, wenn
es so zu wählen gilt, dann wirst du im‐
mer wissen, welche Wahl zu treffen ist!
.Es läßt sich wahrlich sagen, daß «die
Gegensätze sich berühren», wenn die
Welt des Lichtes diese Erdenwelt in
dir berührt, und doch ist es allein
das Ähnliche, das hier Verbindung
schafft...
.Willst du in Wachheit des Bewußt‐
seins wissen um die Welt des wahren
Lichtes, wenn sie deinem Außenleben
sich berührbar naht, dann muß dein
Höchstes ihr entgegenstreben. ‒ ‒
.Nur das, was in dir selbst der Licht‐
welt ähnlich ist, wird sich mit ihrem
Lichte einen können...
101 Der Sinn des Daseins
.Bekunden wird sie sich auch dann,
wenn vorerst nichts in dir soweit er
leuchtet ist, daß es dem Geisteslicht
vereinbar wäre, aber wach und wis
send wirst du erst mit ihr verbunden
sein, wenn sie ein Ähnliches in dir
berühren kann! ‒ ‒
.So ist es denn wahrlich nötig, alles
Hohe in dir zu pflegen, und du wirst
gut tun, dein Bewußtsein stets in dir
in deiner höchsten Höhe zu erhalten!
.Du wirst es von allem abziehen
müssen, was mit dem Höchsten in
dir nicht vereinbar ist, und manches,
was dir leider längst Gewohnheit
wurde, wird fortan schwinden müssen,
willst du wachend mit der Lichtwelt
einst dich einen können! ‒ ‒
102 Der Sinn des Daseins
.Dann aber wird auch sicherlich der
Tag dir erscheinen, der dich fähig
finden wird, fast Unerfaßliches freud‐
bewegt zu erfassen.
.Alles Erdendunkel wird alsdann aus
hohem Leuchten dir überlichtet werden!
.Was früher dir nur ferne Ahnung
war, wird dann Gewißheit des Er
lebens sein!
Die Lichtwelt, die sich vordem dir
so oft bekundet hatte und immer wie‐
der dir alsbald entschwunden
war, ist dann für dich zu jeder
Zeit erreichbar, ‒ immer‐
dar dem wachen Sinne
offen! ‒ ‒
*           *
*
103 Der Sinn des Daseins
BEDEUTUNG DES
SCHWEIGENS
DIE nach dem inneren Lichte
streben und nach dem Frieden,
den die Außenwelt nicht geben kann,
müssen schweigen lernen, wenn sie
ihrem hohen Ziele näherkommen
wollen! ‒
.Mancher hätte längst das Licht in
sich erlangt, so er nur schweigen
könnte!
.Die allermeisten Menschen aber
glauben scheinbar, es dürfe nichts in
ihnen sich ereignen, dem nicht sogleich
die Rede ihres Mundes folgen könne...
.Leiseste Willensregung, etwas im
eigenen Innern zu suchen, wird schon
vor allem Beginn des Suchens ent‐
kräftet durch eitles Verkünden, ‒ läßt
107 Der Sinn des Daseins
aber gar ein inneres Erleben sich
erreichen, dann findet das Reden
darüber kein Ende, bis alle Wirkung
des Erlebens schließlich zer-redet
ist, und dennoch die Zunge nicht Ruhe
findet.
.In automatischer Weiterarbeit ent‐
deckt das Gehirn stets Neues, «was
wohl noch zu sagen wäre»...
.Ich rede hier nicht von jenen sel‐
tenen Fällen, in denen berufene gei
stige Führung verlangt, daß der Su‐
chende dem Lehrenden eröffne, was
Erlebnis ward.
.Hier kann das Redenmüssen
wirksamster Faktor der Schulung
sein, während andere Pflichten auf‐
108 Der Sinn des Daseins
erlegt sind, die wahrlich das Schwei
genkönnen erfordern.
.Auch hier aber wird der Suchende
schweigen lernen müssen über sein
inneres Erleben!
.Dem Einen nur wird er es offen‐
baren dürfen, dessen geistiger Füh
rung er sich anvertraute, mag dieser
Eine nun aus eigener Erleuchtung
handeln, oder von einem Höheren
ermächtigt sein...
.Nur auf ausdrückliche Erlaubnis
hin wird der Geleitete vor denen,
die gleich ihm geleitet werden,
sprechen dürfen über das, was er im
Inneren erlebte.
109 Der Sinn des Daseins
.So war es zu allen Zeiten, und
anders wird es auch nicht in Jahr‐
tausenden sein!
.Die diese Worte angehen, werden
mich gewiß verstehen...
.Alles Reden über irgend ein Stre‐
ben geistiger Art ist ärgste Kraft
verschleuderung, solange noch nicht
wirklich erreicht ist, was Ziel des
Strebens war! ‒ ‒
.Weit verhängnisvoller aber kann
das Reden werden, wenn der Suchende
vor anderen Suchenden von Dingen
spricht, die er bereits in sich erfahren
hat, die aber seinen Weggenossen
vielleicht in einer wesentlich ver
schiedenen Art dereinst erfahrbar
110 Der Sinn des Daseins
werden können, da alle geistige Er‐
fahrung individuell bestimmt und
unvermischbar bleibt. ‒ ‒
.Sich selbst und Anderen kann der
in solcher Weise seiner Rede Selige
unnennbaren Schaden schaffen!
.Nirgends wird in so unverantwort‐
licher Harmlosigkeit die übelste Quack‐
salberei betrieben, wie in den Kreisen
derer, die im Geistigen nach Licht
verlangen! ‒ ‒ ‒
.Hier glaubt jeder, der noch lange
nicht sich selber helfen kann, dem
Anderen helfen zu können, und wer
auch noch so sehr selbst der Hilfe
bedarf, meint dennoch, nur der Andere
sei hilfebedürftig...
111 Der Sinn des Daseins
.Veranlaßt wird solcher unbeholfene
Helferwille nicht zum Wenigsten durch
eine unbewußte seelische Eitelkeit,
aber sein breites Wirkungsfeld wird
ihm nur dargeboten von der unhemm‐
baren Redesucht der Anderen. ‒
.Man möge mir den Vergleich nicht
verübeln, wenn ich diese Redesucht
eine «seelische Verdauungsschwäche»
nenne, denn hier ist wahrlich ein so
drastisches Bild am Platz!
.Keiner vermag es mehr, etwas bei
sich zu behalten, so daß es nicht zum
Verwundern ist, wenn nur so wenige
durch ihr geistiges Erleben auch zu
geistigen Kräften kommen! ‒
.Die Buchhändler reichen mit ihren
Lagerräumen nicht mehr aus, da heute
112 Der Sinn des Daseins
jeder Zeitungsleser, der über irgend
etwas leidlich Bescheid zu wissen glaubt,
in sich Berufung fühlt, darüber ein Buch
zu schreiben.
.Nicht anders aber glauben die meisten
derer, die nach geistigem Lichte streben,
sogleich ihre kaum erlangte kleine Er‐
kenntnis, «Geistesverwandten» vorer‐
zählen zu müssen, sobald auch nur das ge‐
ringste innere Erleben sich in ihnen regt.
.Es wird dieses Mitteilungsbedürfnis
durch die Vorstellung erzeugt und im‐
merfort genährt, als könne hier Einer
vom Andern «etwas lernen», und
man verschließt sich der Erkenntnis,
daß es doch um ein «Erleben» geht,
das nicht zu «erlernen», sondern nur
zu erfahren ist. ‒ ‒ ‒
113 Der Sinn des Daseins
.Was aber wirklich, um dieses Er‐
fahrens willen, erlernt werden muß,
haben noch zu allen Zeiten die zum
Lehren Berufenen verkündet, und
aller Lehre gemeinsam war stets die
Forderung des Schweigens. ‒ ‒
.Selbst dort, wo man Schweigegebote
gab in Hinsicht auf Dinge, deren Ge‐
heimhaltung eher wie «Geheimnis‐
krämerei» anmuten könnte, ist das
wahre Motiv der Gebote zumeist in
einem hohen Wissen um den fördern
den Wert des Schweigens zu suchen...
.Soll eines Erdenmenschen inneres
Erleben seine Seele umgestalten, so
daß licht und klar wird, was ihm vordem
dunkel war, dann muß die Seele sorg‐
lichst in ihrer Ruhe erhalten werden!
114 Der Sinn des Daseins
.Kaum darf sich das eigene Denken
allzulaut im Innern mit solchem Er‐
leben befassen!
.Nur der geistig Vollendete weiß,
was da Wort werden darf, und leitet
er etwa einen Suchenden, so wird
er auch von ihm nur insoweit Wort‐
bericht verlangen, als solcher möglich
ist, ohne Schaden für das Werk der Seele,
das durch ihn gefördert werden soll. ‒
.Willst du, mein Freund, nicht selbst
dein hohes Streben hemmen, so wirst
auch du gewiß das Schweigen lernen
müssen!
.Wenig gilt mir dein inneres Suchen,
wenig all dein eifervolles Tun, wenn
du nicht schweigen kannst!
115 Der Sinn des Daseins
.Und nicht nur vor Andern sollst
du schweigen können...
.Auch vor dir selber mußt du
schweigen lernen! ‒ ‒
.Was hier dir gelingen soll, wird
wahrlich nicht schon von heute auf
morgen gelingen, und manche Ver‐
suchung wird in dir zu überwinden
sein! ‒
.Es gilt aber hier, dein höchstes
Ziel zu erreichen, und keiner hat
jemals sein höchstes Ziel erreicht,
der nicht schweigen konnte. ‒ ‒ ‒
.Zahllos aber sind die Schwätzer,
die sich verwundern, daß sie nichts
erreichen, obwohl sie doch alles getan
116 Der Sinn des Daseins
zu haben glauben, was man von ihnen
verlangen könne.
.Sie haben auch wirklich vielleicht
gar manches Richtige getan, aber den‐
noch Wichtiges unterlassen, denn sie
lernten das Schweigen nicht! ‒
.Du aber sollst nicht in den gleichen
Fehler fallen!
.Es werde dir heiligste Pflicht, dich
im Schweigen zu üben!
.Den Wert des Schweigens wirst du
kaum ermessen können, bevor du nicht
an dir erfahren hast, wie alle Seelen‐
kräfte erst im Schweigen sich in
ihrer höchsten Wirkung offen‐
baren! ‒ ‒
117 Der Sinn des Daseins
.Doch sollst du nicht nur über in
neres Erlebnis schweigen lernen,
sondern auch allenthalben dort, wo
Reden nicht geboten ist!
.Verfalle nicht in den Fehler so Vieler,
stets in dir zu suchen, was du noch
reden könntest, sondern suche lieber
nach allem, was durch Schweigen
Kraft gewinnen könnte.
.Wie sehr dein Schweigen deine
Kraft erstarken läßt, kannst du schon
bald erfahren, wenn du nur eine Stunde
lang ein Wort bezwingst, das immer‐
fort sich wieder auf die Lippen drängen
möchte.
.Dein Schweigenkönnen aber darf
hinwieder dich auch nicht verführen,
in steter Stummheit zu verharren, wenn
118 Der Sinn des Daseins
man mit gutem Recht von dir erwarten
darf, daß du dich redend mitzuteilen
weißt!
.Nur dann wird Schweigen dir von
Nutzen sein, wenn nie ein Mensch
bemerkt, daß du dich zwingst, zu
schweigen! ‒ ‒ ‒
.Bist du mit einem Menschen im
Gespräch verbunden, so wird er nie
gewahren dürfen, daß du dennoch über
Dinge, die zur Rede kommen könnten,
schweigst, noch darf ihm fühlbar
werden, über was du schweigst, soll
nicht dein Schweigen allen Sinn ver‐
lieren! ‒
.Auch jenes unerzogene Schweigen
bleibe dir fremd, dem sich so manche
119 Der Sinn des Daseins
hemmungslos ergeben, wenn ihnen,
mitten im Gespräch, Gedanken kom‐
men, die geraume Zeit zu innerer
Erfassung brauchen!
.Die Zeit, in der ein Anderer von dir
erwarten darf, daß er in deinem Den‐
ken gegenwärtig ist, ist wahrlich nicht
die Zeit, um schwebenden Gedanken
nachzuhängen! ‒
.So soll denn niemals sich im Äußeren
verraten, daß du dich im Schweigen
üben willst, ‒ und du allein nur
sollst dir Zeuge deines Schweigens
sein! ‒ ‒
.Freilich aber wirst du immer wissen
müssen, wo du ein Recht zum Schwei‐
120 Der Sinn des Daseins
gen hast, und wo hingegen Andere ein
Recht auf deine offene Rede haben! ‒
.Wolltest du schweigen, wo du reden
solltest, so würdest du dich nur mit
Schuld beladen, und um so schwerer
müßte solche Schuld dann auf dir
lasten, je mehr dir offenkundig wäre,
daß deine Pflicht von dir das Wort
gefordert hätte...
.Nicht minder wie dein Reden,
wirst du auch dein Schweigen stets
zu verantworten haben, und keine
Macht der Erde wie des Himmels wird
dich von dieser Selbstverantwortung
jemals befreien können! ‒ ‒
.Wenn auch das Schweigen, als Er‐
fordernis der seelischen Entfaltung,
121 Der Sinn des Daseins
gar nicht hoch genug zu werten ist, so
ist doch immer sorglichst zu beachten,
daß aller Wert sich hier ins Gegen
teil verkehrt, sobald der eigene Ge‐
winn auf Kosten Anderer errungen
werden soll. ‒
.Es sei darum dein Reden wie dein
Schweigen stets geleitet durch die
Liebe und bewahrt durch deinen
wachen Willen!
.Noch mehr aber, als dein Reden,
wird dein Schweigen für dich zu be‐
deuten haben! ‒
Wohl dir, wenn du recht
zu schweigen
weißt! ‒ ‒ ‒
*           *
*
122 Der Sinn des Daseins
WAHRHEIT UND WAHRHEITEN
SUCHST du die ewige Wahrheit
als das allem Scheinen entrückte
«Sein», so wirst du unterscheiden lernen
müssen zwischen diesem tiefsten, quel‐
lenden Urgrund alles «Wahren» und
den unzähligen Wahrheiten, die ihm
ewiglich neu und gar wechselbereit
entströmen! ‒ ‒
.Unwandelbar in sich selbst,
bleibt Wahrheit nur im reinen «Sein»,
‒ in sich selbst begründet, aus sich
selber quellend, ‒ aber unendlich
fältig stellt sie sich dar in Raum und
Zeit....
.Niemals würdest du die absolute
Wahrheit fassen können, die auch im
Reich des wesenhaften Geistes ewig
125 Der Sinn des Daseins
unerfaßbar bleibt und nur sich
selber faßlich ist! ‒ ‒ ‒
.Allem, was der «Vater» aus der
Wahrheit in ihrem Quellgrunde
zeugt, kann Wahrheit nur in gleicher
Weise faßlich werden: ‒ als Selbst
erfassung!
.So wird es für dich denn wahrlich
«nur eine Wahrheit» geben, ‒ nur
eine Wahrheit, die du fassen kannst:
die Wahrheit deiner selbst! ‒ ‒
.Unzählige Wahrheiten aber um
strömen dich von allen Seiten, und
jede dieser Wahrheiten strebt nach ihrer
Anerkennung....
.Es wird deine eigene tiefste Wahr‐
heit oft gar sehr bedrängen, daß sie
126 Der Sinn des Daseins
Wahrheiten anerkennen soll, die ihr
«fremd» erscheinen und nur schwer
mit ihr selbst vereinbar.
.Doch wirst du dich daran nicht
stören dürfen!
.Erwäge, daß jede Wahrheit in Raum
und Zeit ihre eigene Formung hat,
und nur umfaßt, was ihrer Formung
entspricht.
.So sollst auch du deiner eigenen
Wahrheit entsprechen!
.Das aber wird geschehen, wenn du
selbst dir zu gebieten weißt, so daß
dein Denken, Reden oder Handeln
stets von Grund aus wahrhaft ist und
bleibt. ‒
127 Der Sinn des Daseins
.Kennst du dich selbst als durchaus
wahr, so wirst du allenthalben auch
die vorher scheinbar «fremden» Wahr‐
heiten fassen, ‒ in der Art, wie sie
allein dir faßbar werden können: ‒
eingewoben in die Wahrheit deiner
selbst! ‒ ‒
.Siehe: ‒ ein jeder Erdenmensch
trägt alle unendlichfältigen Formen der
Wahrheit verhüllt in sich selbst, aber
nur eine dieser Formen kann sich in
ihm entfalten, kann ihm Gewißheit
und Bestimmtheit geben!
.Er darf nicht bald dieser, bald
jener Form der Wahrheit sich ergeben,
sonst wird er sicher seine Form der
Wahrheit niemals finden....
128 Der Sinn des Daseins
.Die aber findet er, wie ich schon
sagte, wenn er durchaus wahr wird
in allem Denken, Reden oder Tun,
‒ in aller Äußerung des Lebens!
.Was dann in seiner Wahrheit Licht
sich ihm als wahr erweist, das wird
wahrlich Wahrheit sein, denn Trug und
Lüge haben keine Macht, wo eines
Menschen eigene Wahrheit Leitstern
seines Daseins wurde. ‒ ‒
.Du siehst jedoch, daß viele Men‐
schen glauben, «in der Wahrheit» zu
sein, und dennoch offenkundig irgend
eines folgenschweren Irrtums, oder
einer nichterkannten Lüge Sklaven
sind...
129 Der Sinn des Daseins
.Werde nicht irre an solcher Ver‐
blendung und lasse dich nicht fangen in
den Fallen ihrer trügerischen Schlüsse!
.Halte auch nicht jeden für «schlecht»,
der solcher Trugschlüsse Beute wurde!
.Sei gerecht und erkenne ruhigen
Blutes, daß die allermeisten dieser
Sklaven irgend eines Wahns, ehrlich
bei sich überzeugt sind, wirklich
in der Wahrheit zu sein!
.Sie alle freilich wären alsbald ihrer
Fesseln ledig, wollten sie nur selbst
erst wahrhaft werden, statt sich um‐
spinnen zu lassen von Gedankenge
spinsten, in denen sie der Wahrheit
urgewisse Selbstbezeugung zu erfassen
glauben! ‒ ‒ ‒
130 Der Sinn des Daseins
.Andere wieder wirst du allzusehr
im Banne gewisser Wahrheiten sehen,
so daß sie keine andere Wahrheit
daneben gelten lassen können...
.Wenn du solchen begegnest, so sei
nicht ebenso unduldsam, und trachte
nicht danach, sie gewaltsam ihrem Banne
zu entreißen!
.Es gibt vielerlei Wege, auf denen ein
Mensch zuletzt denn doch zu seiner
eigenen Wahrheit finden, ‒ ja selbst
zur Wahrheit werden kann, und
manche Seele muß erst lange im Banne
der verschiedensten Wahrheiten
verweilen, bevor sie zu sich selber
findet, um vor sich selber wahr zu
werden. ‒ ‒
131 Der Sinn des Daseins
.Wahr zu sein vor sich selbst, ist
nicht gar so einfach, und wenn du es
versuchen willst, dann wirst du bald
bemerken, daß du dir oftmals schon
als wahr erscheinen wolltest, wo noch
vieles in dir der Lust am Trug und
leeren Scheine unterworfen war..
.Wahr sein heißt aber auch nicht
etwa: ‒ nur Wahrnehmungen und
Empfindungen registrieren, wie eine
Maschine sie aufzeichnen
könnte! ‒ ‒
.Auch wenn du mit maschineller
Genauigkeit und schärfster Präzision
dir stets Rechenschaft gibst über Wahr‐
nehmung und Empfindung, kannst du
dennoch von Grund aus ‒ unwahr
sein! ‒
132 Der Sinn des Daseins
.Du brauchst sogar einen gewissen
«Spiel-raum» zwischen der exakten
Analyse deiner Wahrnehmungen und
Empfindungen, und ihrer Ausdeu
tung für dich selbst, sonst wird dich
gerade dein Wahrheitsfanatismus
in das Trugfeld der Selbsttäuschung
locken, das erfüllt ist von Irrlichtern
über dunklen Morasten! ‒ ‒ ‒
.Wenn du auch mit glühender Wahr‐
heitsliebe dich bemühst, dich von
Täuschungen über dich selber freizu‐
halten, so hast du doch noch recht
wenig erreicht, solange dein Bemühen
nur darauf gerichtet ist, in der Be
stimmung alles dessen, was dich inner‐
lich bewegt, zu schonungsloser Klarheit
zu kommen....
133 Der Sinn des Daseins
.Deine Einzelurteile können wohl in
jedem der geprüften Fälle richtig sein
und doch kann dein ganzes Dasein
ein wesentlich anderes Bild ergeben,
als es aus der bloßen Summierung
deiner einzelnen Urteile über Wahr‐
nehmung und Empfindung in dir resul‐
tieren würde. ‒ ‒
.Es ist auch irrig, zu glauben, man
sei schon wahr, wenn man nur seine
Rede frei von Lüge und Täuschungs‐
absicht hält!
.Wahr sein, heißt vor allem: ‒ seine
Gedanken stets an straffem Zügel
führen, damit sie nicht, durch Wunsch,
Furcht oder Träumerei verleitet,
die nüchterne Straße sachlicher Er‐
kenntnis verlassen und in ungewisse
134 Der Sinn des Daseins
Weiten schwärmen, allwo sie meist
recht schwer wieder einzufangen sind...
.Bist du in deinen Gedanken wahr,
so wird auch Rede und Tat von
deiner Wahrheit Zeugnis geben, selbst
wenn deine Rede irren, oder deine
Tat dich zuweilen ins Unrecht set
zen mag! ‒ ‒
.Besser ist es fürwahr, man kann dich
eines Irrtums oder eines Unrechts
überführen, so nur dein Wille beidem
fernestand, als einer Unwahrheit
gegen dich selbst, ‒ auch wenn
sie begangen wurde, um Irrtum und
Unrecht zu meiden! ‒ ‒
.Sobald du aber einmal wirklich wahr
geworden bist in dir selbst, werden
135 Der Sinn des Daseins
tagtäglich dir neue Wahrheiten be‐
gegnen, und sie werden dir nicht mehr
«fremd» erscheinen, wie einst! ‒
.Du wirst entdecken, daß du auch
eines jeden anderen Menschen Wahr‐
heit in dir selber trägst, auch wenn
sie in dir nur eine Nebenwahrheit
ist, ‒ nicht, wie deine eigene Mittel
punktswahrheit, Weg und Ziel be‐
stimmend. ‒
.So wirst du duldsam gegen andere
werden, und du wirst keinen anderen
darum geringer schätzen, weil er nicht
deiner Wahrheit folgt, wenn du ihn
nur auf seine Weise seiner Wahrheit
Folge leisten siehst! ‒ ‒
.Du wirst erkennen, daß die absolute
Wahrheit, die allein sich selber
136 Der Sinn des Daseins
«fassen» kann, in unzählbaren
Formen sich der Fassungskraft des
Menschen offenbart, und daß auch
noch die fernste dieser Formen Licht
von ihrem Lichte enthält. ‒
.Wohl darfst du dich glücklich
schätzen, weißt du deine eigene
Wahrheit eingeordnet in den nächsten
Graden der Durchlichtung aus dem
Inbegriff der absoluten Wahrheit,
doch wirst du gewiß auch die Wahr‐
heiten fernerer Durchlichtungsgrade
nicht mehr verachten, und in allen un‐
zählbaren Graden nur die
eine ewige Wahrheit
schauen! ‒ ‒
*           *
*
137 Der Sinn des Daseins
BESCHLUSS
MIT gutem Rechte hat der Spott,
der so manche, sonst unheil‐
volle Spannung entspannt, sich der
«Frommen» bemächtigt, die aus der
Frömmigkeit ein Paradieren mit «Ge‐
sangbuch» und Andachtsrequisiten,
ein himmelndes Augenverdrehen, ein
selbstgerechtfertigt-salbungsvolles Ge‐
tue zu machen wußten.
.Es darf aber doch auch nicht ver‐
gessen werden, daß es nun manchen
Menschen schwer fällt ‒ und es
dürften nicht wenige sein ‒, über‐
haupt noch an den Wert der echten
«Frömmigkeit» zu glauben. ‒
.Auch wenn sie im besten Sinne
«fromm» zu sein vermöchten, fühlen
sie sich doch zu sehr bereits mitbe‐
141 Der Sinn des Daseins
troffen durch den berechtigten Spott,
auch wenn der nur Frömmelei und
Pharisäertum zu treffen sucht, als daß
sie noch wagten, offen einzugestehen,
wie schal und gehaltlos ihnen ein Dasein
ohne wahre Frömmigkeit erscheint.
.Man mag es töricht schelten, wenn
zaghafte Seelen solcherart ihrem besten
Fühlen mißtrauen, und doch ist in
dieser Scheu zugleich eine hohe Wer‐
tung echter Frommheit, echter
«Frömmigkeit» enthalten, denn die
Ängstlichen fürchten im Grunde nur
die Entweihung einer inneren Er‐
fahrung, die ihnen heilig ist...
.Dennoch könnte man wohl hier
sagen, daß nur subjektive Werte in
Frage stünden, so daß alsdann die echte
142 Der Sinn des Daseins
Frömmigkeit denn doch nur Wenigen
Bedürfnis, Wenigen, ihrer Art nach,
«angemessen» wäre? ‒
.Da ich dir jedoch versprochen habe,
dich recht zu leiten und auf sicheren
Weg zu führen, der du nach dem
«Sinn des Daseins» suchst, so muß
ich dir nun am Beschluß der Führung
auch zu zeigen suchen, daß du den
Sinn des Daseins nie erfassen und be‐
greifen kannst, wenn dich nicht echte,
reine Frömmigkeit erfüllt! ‒ ‒ ‒
.Ich sagte dir schon bald, daß du
in neuer Weise fragen lernen müß‐
test: ‒ daß du nicht fragen solltest
nach dem «Sinn des Daseins», son‐
dern danach, wie du deinem Dasein
«Sinn» verleihen könntest...
143 Der Sinn des Daseins
.Fragst du jedoch, wie ich dich fragen
lehrte, so weiß ich dir wahrhaftiglich
zuletzt nichts Besseres zu sagen, als
den hier nun folgenden Rat:
.Erfülle dein Herz mit wahrer,
echter, lauterer Frömmigkeit!
.So nur wirst du deinem Dasein ewig
gültigen «Sinn» verleihen! ‒ ‒ ‒
.Ich hoffe allerdings, daß du deine
Frage nach dem «Sinn des Daseins»
nicht aus jener platten Oberflächen‐
Neugier stelltest, die nur danach fragt,
wie erdenhaft enger Verstand ‒ und
sei es auch der Verstand des Weisesten
der Weisen ‒ sich dieses Dasein
leidlich «erklärbar» machen kön‐
ne?! ‒
144 Der Sinn des Daseins
.Solcher Neugier Nahrung zu bieten,
ist wahrlich nicht Aufgabe meiner
Lehre, und ferne stehen mir die selbst‐
süchtig-ängstlichen «Kinder dieser
Welt», die immer nur erfahren wollen,
was ihrer einst wartet, statt immer
so zu handeln, daß nur das Beste
ihnen zum Erbteil werden kann...
.Wer sich hier «getroffen» fühlt,
den mag es wie Peitschenschlag
treffen, damit er aus seinem Dämmer‐
traum endlich erwache und zu seinem
Besten reif, ‒ zu seines Erbes Er‐
werb berechtigt werde!! ‒
.Wenn ich davon rede, daß du dei‐
nem Dasein «Sinn» zu geben vermagst,
so ist mir nur daran gelegen, dir zu
zeigen, daß dieses Dasein, ‒ obwohl
145 Der Sinn des Daseins
an sich schon so vieler «Ursache»
unabänderliche «Folge», ‒ wieder
nur neuer Folge Ursache wird, und
daß du Macht hast, die Folge nun‐
mehr zu bestimmen, soweit deine
Macht reicht, dieses Dasein um‐
zugestalten! ‒ ‒ ‒
.Es handelt sich keineswegs nur
etwa darum, erhabene Gefühle in
dir zu erzeugen, oder gar den kindisch‐
eitlen Glauben in dir wachzurufen, als
hättest du eine «Mission», und seiest
der Gottheit überaus wichtig in allem
deinem Tun! ‒
.Du magst auf dieser Erde wohl der
Mächtigste und Erhabenste sein, der
Erbe alter Geschlechter, vererbten
Herrscherwillens und unermeßlichen
146 Der Sinn des Daseins
Besitzes, und bleibst doch als Erden‐
mensch vor dem Werturteil der Ewigen
ein armer, törichter Wurm, den
ein Fußtritt zertreten kann, auch wenn
das Herz, das diesen Fuß bewegt, dich
gerne schonen möchte!!!
.Die Umgestaltung deines Daseins,
die deines Daseins Folge umgestaltet,
erfordert mehr von dir, als nur einen
Wandel deiner Gefühle, ‒ eine Trans‐
ponierung deines seitherigen Erden
geltungswillens in die Bereiche
ewigen Erlebens! ‒
.Magst du unter Herrschern der Aller‐
mächtigste sein, oder unter Bettlern
der Allerärmste, so mußt du in beiden
Fällen wissen, daß alles das wahrhaft
irrelevant, ‒ in jeder Hinsicht we
147 Der Sinn des Daseins
senlos ist, vor dem Angesicht Derer,
die des wesenhaft-wirklichen, ewi
gen Geistes Priester und Könige
sind, auch wenn sie dich hier auf dieser
Erde nach deiner irdischen Geltung
gelten lassen, soweit du selbst es
ihnen möglich machst! ‒ ‒ ‒
.Was geistiges Gesetz von dir
erheischt, ist wache, wohlüberlegte
Tat! ‒ ‒
.Es wird gewiß nicht etwa «zuviel»
von dir verlangt!
.Du mußt nur beweisen, daß es dir
ernst ist mit deinem Streben, und
diesen Beweis kannst du lediglich
erbringen, indem du die Macht, die
dir über Irdisches gegeben ist, ge‐
148 Der Sinn des Daseins
brauchst, um dir im Ewigen Schätze
zu sichern, die «weder Rost noch
Motten fressen» können! ‒ ‒ ‒
.Hier gibt es keinen «Erlaß» und
keine «Umwandlung» des Geforder‐
ten, so gerne dir auch die ewige Liebe
Erlaß und Umwandlung nach deinem
Ermessen gewähren möchte! ‒
.Auch wirst du dich hüten müssen,
etwa zu glauben, daß du den Geist
der Ewigkeit vielleicht ein wenig
täuschen könntest, um scheinbar zu
tun, was von dir verlangt wird, und doch
zu unterlassen, was deiner irdisch‐
engen Eigenliebe widerstrebt! ‒ ‒
.Du wirst nicht «gerichtet», sondern
richtest dich selbst durch die Be‐
149 Der Sinn des Daseins
nützung dessen, was deiner Macht auf
Erden untertan ist!
.Bist du ein armer Bettler, so darfst
du sicher sein, daß das, was du aus
deiner Armut wirken wirst, gewiß
nicht geringeren Wertes ist, als die
Großtaten eines Reichen, ‒ doch lebst
du im Reichtum, so wird dein Erden‐
wirken nur insoweit geistig gelten,
als es eben diesem Reichtum ange
messen ist...
.Du wirst dann aus dem, was dir
übergeben ist, auch deinen gerechten
Beitrag leisten müssen, um das Kapital
des Geistes hier in dieser Sichtbarkeit
zu mehren! ‒
.Du selbst mußt wissen und erfühlen,
was der Geist der Ewigkeit, dem
150 Der Sinn des Daseins
du entstammst, von dir verlangt an
materiellem Einsatz in dieser Welt
materieller Außenwerte, ‒ und du
wirst gewiß im Geistigen nicht weiter
kommen, suchst du dich zu entziehen,
wo du auch in erdengültigen Werten
darbringen sollst, was du vermagst...
.Es handelt sich keineswegs etwa
darum, dein Hab und Gut zu ver‐
teilen, ‒ aber aus dem, was du besitzest,
ergibt sich, was du darbieten kannst,
um Geistiges in dieser Erdenwelt zu
verankern, wie auch nach gleichem
Maße das Maß deines dir übertragenen,
dich verpflichtenden Wohltuns sich
bestimmt. ‒ ‒
.Vom Geiste her ist nur gefordert,
daß dein geistiges Streben stets auch
151 Der Sinn des Daseins
dein äußeres Dasein mit erfasse,
und somit alle äußere Macht, die dir
gegeben ist, in den Dienst der
Ewigkeit stelle....
.Niemals wird etwa mehr von dir
verlangt, als was du wirklich leisten
kannst, ohne Pflichten, die aus deinem
äußeren Dasein sich ergeben, zu ver‐
säumen. ‒
.Es kommt jedoch bestimmt ein
Tag, an dem du es bitterlich bereuen
würdest, des Geistes Forderung nicht
erfüllt zu haben! ‒ ‒ ‒
.Da du aus deinem ewigen Leben
niemals entfliehen kannst, so ist es
wahrlich Weisheit, auch in dieser
152 Der Sinn des Daseins
Erdenzeit bereits nach seinen Ge‐
setzen sich einzurichten.
.Auch dieses Erdendasein ist ja
nur begründet in deinem ewigen Leben,
dem es wenig verschlägt, auch wenn du
es leugnen zu dürfen glaubst!
.Du wirst diesem Dasein wohl nicht
anders einen «Sinn» zu geben ver‐
mögen, als dadurch, daß du es wach
und bewußt als Teil deines ewigen
Lebens zu erleben suchst! ‒ ‒
.Das aber vermagst du nur, wenn
du dem argen Irrtum entsagst, der dir
vorgaukeln will, du könntest dereinst
bewußt im ewigen Leben stehen, auch
ohne vorher dein Erleben dieses
Erdendaseins geistgerecht ge
staltet zu haben! ‒
153 Der Sinn des Daseins
.Willst du deinem Dasein «Sinn»
verleihen, so ordne alles was du hier
beginnen magst, stets derart, daß auch
ewige Werte durch dein Tun gefördert
werden! ‒ ‒
«Sinn» hat dein Dasein wahrlich nur
wenn es weiterzeugend wirkt,
und seine Früchte dir er
halten bleiben für alle
Ewigkeit! ‒
*           *
*
154 Der Sinn des Daseins
ENDE